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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kanitz
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Aperitivo trinken, Imperatoren anhimmeln.
    »Woher sollte ich wissen, dass sie dich bei Verrückten abgeben würde?«
    Mein apulisches Blut trat erschrocken den Rückzug an, mein niedersächsischer Stolz ließ mich rot vor Zorn werden.
    »Das will ich jetzt überhört haben.«
    »Nele, figlia mia. Ich bitte dich. Du bist in einer Familie groß geworden, in der keiner der ist, der er zu sein scheint. Wo sich alle nur gegenseitig anlügen und verrückte Sachen machen. Dein Opa glaubte an Störche, die beiden alten Damen kämpften siebzig Jahre lang um denselben Mann, dein Bruder ist schwul geworden, und deine Mutter hat sich einer Sekte angeschlossen. Wahrscheinlich ist dein Vater der einzige normale Mensch. Und du, na ja, du hast offenbar auch mit deiner geistigen Gesundheit zu kämpfen. Diese komische Sache mit der Asche deines verstorbenen Opas …«
    Ich hob die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten, aber er war sowieso fertig.
    »Irene redet zu viel«, sagte ich schwach und dachte bei mir: Erschreckend, wie viel sie in der kurzen Zeit über uns herausgefunden hatte. »Außerdem stimmt das so gar nicht. Jedenfalls nicht alles. Manchmal lieben zwei Leute halt denselben Menschen, und Jans homosexuelle Ausrichtung ist einfach Zufall.«
    Ich überlegte angestrengt. Papa war in Marcellos Augen normal, Gott sei Dank. Den musste ich wenigstens nicht verteidigen.
    »Mama ist bloß ein bisschen esoterisch geworden, das hat nichts mit einer Sekte zu tun. Die quatschen bloß gern und fühlen sich ein bisschen erleuchtet. Und ich, na ja, ich stand an dem Tag im Zug unter Schock. So was kann passieren.«
    Ich dachte angestrengt nach. »Und nur, damit du es weißt: Mir hat nichts gefehlt. Ich hatte eine ganz wunderbare Kindheit, und ich hätte mir keine bessere Familie wünschen können.«
    Die letzten zwei Sätze hatte Marcello offenbar überhört.
    »Ist ja schon gut«, sagte er betont langsam. So als spräche er zu einem verwirrten Kind. »Jetzt bist du ja hier.«
    Das klang, als wollte er mich höchstpersönlich aus einer Arena voller Löwen retten.
    Arena, Löwen, Gladiatoren, Rom, Imperatoren.
    »Ich würde jetzt gern was trinken«, erklärte ich mit fester Stimme. »Wir sehen uns später.«
    Diesmal passte ich gut auf die Teppichkante auf und verließ erhobenen Hauptes das Kaminzimmer.
    Vom Hof klang fröhliches Stimmengewirr zu mir herüber. Ich beeilte mich, zu meiner verrückten Sippe zu kommen. Selten hatte ich die Lüttjens’ so sehr geliebt wie in diesem Moment.
    Das Gefühl dauerte aber nicht allzu lange an. Als ich die Sitzordnung an der langen Tafel bemerkte, nahm ich meine Liebe für Jan erst mal zurück.
    Der saß nämlich sehr dicht neben Federico und strahlte ihn an. Ganz kurz bedauerte ich Hans-Dieter in Nordergellersen.
    Hm. Ein schwuler römischer Kaiser könnte mich allerdings aus meinen Gewissensnöten befreien.
    Nix da.
    Federico sah mich, stand auf und kam zu mir. Seine Augen sprühten geradezu Funken.
    »Marcus Antonius«, murmelte ich.
    Vielleicht konnte ich mir mal eine Auszeit vom richtigen Leben mit all seinen Problemen nehmen und für ein paar Stunden Kleopatra sein?
    Möglicherweise mutierte Paul dann zu Caesar. Das konnte stressig werden!
    Ach nein, Paul musste außen vor bleiben. Sonst würde der wie Caesar ein böses Ende nehmen.
    Oh Gott! Alkohol zu mir! Sofort!
    Ich wurde abgelenkt, als Papa mit seinem Messer gegen ein Glas klopfte und um Ruhe bat.
    Dann hielt er eine Ansprache, und ich dachte: Das war wohl nix mit dem Normalsein.

21. Papas Schnapsidee
    »Was hat der vor?«, flüsterte Jan. Er war ebenfalls aufgestanden und zu mir gekommen. Oder Federico nachgelaufen. War nicht so klar zu unterscheiden.
    Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung.«
    Es dauerte, bis Ruhe einkehrte. Papa klopfte und klopfte. Eine italienische Großfamilie unterbrach nicht so leicht eine Unterhaltung.
    Federico stand sehr dicht neben mir, Jan kesselte ihn auf der anderen Seite ein. Ich driftete leicht zur Seite. Waren schließlich zwei starke Männer. Am Feigenbaum ging es aber nicht weiter, und ich machte Bekanntschaft mit der Borke.
    Aufmerksam beobachtete ich Papa. Er wirkte ein wenig fahrig in seinen Bewegungen. Ein paar Mal traf sein Messer nicht das Glas, sondern die Flasche, die daneben stand.
    Was war denn das? Goldgelb und halb leer?
    Federico war meinem Blick gefolgt. »Grappa di Vino«, erklärte er. »Ein ganz besonderes Tröpfchen. Den stellt der Padrone höchstpersönlich her. Ist sein ganzer Stolz,

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