Oma packt aus
hätte mir dreizehneinhalb Jahre Liebeskummer wegen Karl Küpper gespart.
Unsinn. Als Paul in München studierte, ging ich ja noch zur Schule.
»Rosi war die Tochter meiner Vermieterin, und wir haben uns ineinander verliebt.«
Von Liebe möchte ich bitte nicht so viel hören, auch wenn sie mindestens siebzehn Jahre zurückliegt.
Meine Hand fühlte sich langsam taub an.
»Ich habe damals an die große Liebe geglaubt.«
Was sollte das denn heißen? Heute etwa nicht mehr?
Keine Tränen auf den Gips, Nele.
»Du weißt schon, wie ich das meine.«
Nicht wirklich.
»Aber als ich aus den Semesterferien zurückkehrte, war Rosi weg. Mit einem amerikanischen Soldaten nach Alaska gezogen, erklärte mir ihre Mutter.«
Oh Mann! Paul sah richtig unglücklich aus. Nach all den Jahren! Her mit meiner Hand!
Er merkte es gar nicht, wie ich sie aus seiner Umklammerung zog.
»Na, das Leben ging dann weiter, aber ich habe ihr lange nachgeweint. Keine meiner späteren Freundinnen war wie sie. So fröhlich und voller Lebenslust.«
Herzlichen Dank. Ich bin auch eine spätere Freundin, schon vergessen?
Eigentlich hatte ich jetzt genug. Paul sollte verschwinden, seinen blöden alten Liebeskummer mitnehmen und seine Tochter auch.
Arrivederci.
Für meinen Stimmungsumschwung war er aber nicht empfänglich.
»Ich habe erst letzte Woche wieder etwas von ihr gehört, das heißt, von ihrer Mutter. Also eigentlich über ihre Mutter.«
Ich gähnte.
Paul war jetzt im Erzählfieber. »Als Rosi damals merkte, dass sie von mir schwanger war, hat sie ihrem Mann nichts davon gesagt. Der wollte wahrscheinlich vom Kind eines anderen nichts wissen, schon gar nicht, wenn es von einem Kraut war. Sie kehrte für ein paar Monate nach München zurück, brachte ihr Kind zur Welt und ließ es bei ihrer Mutter. Ich bekam davon nichts mit, weil ich inzwischen woanders wohnte. Dort hatte ich es nicht mehr ausgehalten. Die ständige Erinnerung an unsere glückliche Zeit war zu schmerzhaft.«
Mein Mitleid hielt sich in Grenzen.
»So ist Klara bei ihren Großeltern aufgewachsen. Vor zwei Jahren sind Rosi und ihr Mann bei einem Unfall ums Leben gekommen.«
Jetzt empfand ich doch Mitleid, aber nicht mit Paul.
»Nun sind auch die Großeltern kurz nacheinander gestorben, und Klara ist bei einer Pflegefamilie untergekommen. Ihr gefällt es dort aber nicht, und so hat sie nach mir gesucht.«
»Das kann nicht einfach gewesen sein. Du hast ja nur eine untergeordnete Rolle im Leben von Rosi gespielt.« Ich wollte mal ein bisschen fies sein.
Paul zuckte zusammen. »Das stimmt wohl. Aber ihre Großmutter hat sauber Buch über ihre Mieter geführt, und Klara ist sorgfältig ihr Geburtsjahr durchgegangen.«
Ziemlich plietsch, die Deern.
»Sie hat dann die vier in Frage kommenden Studenten gegoogelt und ist ziemlich schnell auf mich gekommen.«
»Wieso?«, fragte ich ahnungsvoll.
Paul räusperte sich umständlich. »Abgesehen von Rosis süßer Stupsnase sieht Klara mir sehr ähnlich.«
Ich kaute noch auf der süßen Stupsnase herum, als Paul schon fortfuhr. »So bin ich also auf ihre Bitte hin nach München gefahren, um sie kennenzulernen. Und da hat sie mich angefleht, sie zu adoptieren. Ihre Pflegeeltern seien ganz schreckliche Leute, und sie hielte es keinen Tag länger dort aus.«
Ach ja, die Isar. Paul war aber wirklich leicht zu erpressen.
»Ich fand die Leute eigentlich ganz nett«, fuhr er fort, »aber es geht sicherlich ein wenig chaotisch bei ihnen zu. Außer Klara haben sie fünf eigene Kinder.«
Okay, nach Zuckerschlecken klang das nicht. Ich konnte Klara verstehen. Oma und Opa verlieren und sich dann in einer fremden Großfamilie zurechtfinden müssen, war bestimmt nicht einfach.
Ich dachte eine Weile nach und wunderte mich, wie gut mein Gehirn noch funktionierte.
»Und beim Jugendamt hast du dich als ihr leiblicher Vater vorgestellt. Damit du sie zu dir nehmen kannst.«
»Ganz genau«, erwiderte Paul. »Den Vaterschaftstest hab ich bereits in die Wege geleitet. Hast du starke Schmerzen?«
Hatte ich. Und es gab eine Menge, worüber ich nachdenken musste.
»Ich glaube, ich sollte jetzt schlafen.«
Paul strich mir sanft übers Haar.
»Aber …«, begann ich zögernd. »Was wird denn nun aus uns? Jetzt, da du plötzlich Vater bist.«
»Es wird sich alles finden, Nele. Mach dir keine Sorgen. Und du und Klara, ihr werdet bestimmt gute Freundinnen.«
Da hatte ich so meine leisen Zweifel. War ja möglich, dass wir uns nicht ausstehen
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