Omka: Roman (German Edition)
Verständnis machten sie rasend.
»Ich bin doch …«
Sie sah ihn an, wie er vor ihr stand, die Hand gehoben wie zur Beschwichtigung, wieder kam ihr seine schüchterne Art in den Sinn, sein Verständnis für alles und dass er eigentlich nichts Besonderes war, und das ungeachtet dessen, dass er sich um sie kümmerte, sie bei ihm wohnte und er gut zu ihr war, seit sie sich kannten. Sie bekam Angst. Es lief ihr kalt über den Rücken, vor ihr tat sich ein dunkles Loch auf, und etwas drückte sie am Hals, etwas, das sie schon kannte. Der blaue Plastikfußboden in der Küche reflektierte das Licht ein bisschen.
»Josef«, sagte sie »ich liebe dich. Entschuldige.«
Er war wie vor den Kopf gestoßen und wollte etwas erwidern, da war sie schon zur Tür hinaus.
In dieser Nacht bildete er sich ein, etwas singen zu hören. Sein rechter Arm war eingeschlafen, weil Omka darauf lag. Er strengte sich an, genauer hinzuhören, konnte aber nicht genau herausfinden, woher das Singen kam. Es klang wie ein Wimmern, Klagen und dann wieder wie ein hochgezogener Ton, eine traurige Melodie. Er schlief kaum und träumte wirr. Ein Fisch mit einem Pfeil oder einer Harpune im Bauch kam zu ihm geschwommen und sagte: »Zieh es heraus, zieh es heraus«, ein Teller gebratener Finger stand auf einer Stiege und sagte: »Steig da hinauf, steig da hinauf«, und die Finger deuteten die Stiege hoch und als er oben war, kamen zwei Kugeln durch die Wand und fuhren in seine Brust, dort, wo die Narbe war, aber es machte ihm nichts aus.
Als er aufwachte, war er nass geschwitzt. Er sah Omka an. »Eigentlich ist sie ein Mädchen«, dachte er bei sich.
Da machte sie die Augen auf und sah ihn an.
»Guten Morgen«, sagte er.
Sie gähnte. »Hast du gut geschlafen?«, fragte sie.
»Nicht wirklich«, meinte er, »ich habe die ganze Nacht ein Geräusch gehört, das klang, als würde jemand vor dem Fenster weinen und singen.«
»Ach das«, sagte Omka, »im ersten Stock ist der Fensterladen nicht eingehängt, weil an der Halterung etwas kaputtgegangen ist. In einer windigen Nacht klingt das dann komisch.«
Beim Frühstück begann sie auf einmal, ohne besonderen Anlass, zu reden. Es sprudelte aus ihr heraus, nachdem es länger still gewesen war und nur das Radio geredet hatte: »Josef, ich liebe dich, und ich möchte bei dir bleiben. Ich habe keinen Mann, seit gestern erinnere ich mich wieder daran. Auch wenn ich einen hätte, würde ich ihn jetzt nicht mehr wollen, sondern ich will dich. Ich kann mir eine Zukunft vorstellen mit dir, und ich bin gern bei dir und möchte nicht mehr ohne dich sein.«
Er ließ den Löffel fallen.
Am Nachmittag rief sie bei der Polizei an und sagte, sie könne sich an ihren Nachnamen erinnern und an ihren Beruf.
»Dann haben wir ja etwas in der Hand«, sagten die Polizisten, »wir melden uns. Unter dieser Nummer?«
»Ja«, sagte Omka.
Auf dem Weg zur Arbeit sann er dem Ganzen nach. Seit zwei Monaten war sie bei ihm. Ihr leerer Blick machte ihm auf eine Art Angst, doch diese Angst oder was es war abzulegen schien ihm nicht sonderlich erstrebenswert. Ihre Reaktionen kamen ihm entweder unterkühlt oder hysterisch vor, das Mittelmaß, wie es vernünftigen Menschen eigen ist, kannte sie offenbar nicht. Ihm fiel ein, dass sie gesagt hatte, Fische hätten keine dunklen Augen, und etwas daran rührte ihn. Sie war wirklich ein Mädchen! Und dabei Rechtsanwältin! Er dachte an ihre weiße Haut, an ihren leeren Blick, wenn sie nachts in seinen Armen lag, und erschauderte. Sie hatte ihm gesagt, sie würde ihn lieben, und er hatte nichts erwidert.
Das schien ihr nichts auszumachen. Er fragte sich, ob es ihr genüge, ihn zu lieben, und ob sie überhaupt daran interessiert war, dass er sie auch liebe. Dann dachte er wieder an ihre Fürsorge, an die Mühe, die sie sich mit dem ganzen Haushalt gab, und an das, was ihr zugestoßen war, und da erschien sie ihm ungeheuer tapfer und voll Durchhaltevermögen mit einem unbändigen Lebenswillen.
Am Abend hatte Omka eine französische Bouillabaisse gekocht und sah ihn strahlend an, als er fragte, ob es etwas Neues gäbe.
»Ja«, sagte sie, »die Polizei hat angerufen.«
Sie erzählte, dass man herausgefunden hatte, dass sie aus dem Schwarzwald kam und dort ein Haus besaß.
»Und sonst nichts?«, fragte er und dachte bange daran, dass sie doch einen Mann haben könnte.
»Doch, es stimmt, dass ich Rechtsanwältin bin. Ich arbeite in der Verwaltung einer Restaurantkette und
Weitere Kostenlose Bücher