Omka: Roman (German Edition)
hatte oder Schulden, und dass am Ende er zuständig für alles sein würde.
»Das hättest du nicht müssen«, sagte er.
»Das weiß ich doch«, erwiderte sie.
Ihre Einschätzung der Situation und wie sie über alles sprach, überzeugten ihn davon, dass ihr eine Art, vernünftig zu denken, gegeben war, die er zutiefst verstand und die Wörter »bodenständig« fielen ihm ein und »Hausverstand«, aber sie passten allesamt nicht zu ihr.
Von diesem Moment an machte er sich keine Sorgen mehr.
Omka hatte schnell einen Termin bei der Gynäkologin bekommen, als sie gesagt hatte, sie sei 36 , zum ersten Mal schwanger, und kurz von dem Schwimmunfall erzählt hatte.
Sie saßen zusammen in der Praxis, an der Wand hingen Bilder von ungeborenen Kindern in den verschiedenen Stadien der Schwangerschaft, und er stellte sich vor »Woche acht« und glaubte kaum, dass das, was er da sah, jetzt wirklich stattfand, jetzt gerade und in ihrem Bauch, wo von außen noch gar nichts zu sehen war. Unter den Föten stand in Großbuchstaben »Komponist?«, »Richter?« »Sängerin?«, »Chirurg?«, »Dichter?«, »Gärtnerin?«.
»Unseres sieht jetzt aus wie eine Garnele«, sagte er, und sie kicherten beide. »Hoffentlich bleibt das nicht so«, sagte sie, und sie mussten lachen.
Die Sprechstundenhilfe sah her.
»Wieso stehen da eigentlich nur so edle Berufe drunter?«, fragte sie.
»Wie meinst du das?«
»Na, unter den Bilden von den Kindern in den Bäuchen. Als würden das alles Komponisten, Chirurgen und Gärtnerinnen werden. Das werden auch Beamte, Arbeitslose, Betrüger und Mörder. Wieso steht das nicht da? Ich finde das kitschig!«, sagte sie.
»Aber«, sagte er, »stell dir mal vor, du bist schwanger …«
»Das brauche ich mir nicht vorzustellen«, unterbrach sie ihn flüsternd und kicherte leise.
»… und du denkst daran, dass das Kind in deinem Bauch später einmal ein Lügner und Betrüger wird.«
»Nun ja«, sagte sie »das weiß ich doch aber nicht. Ich meine, ich kann alles Mögliche tun, damit das nicht passiert. Aber verhindern kann ich das nicht.«
Er war verwirrt, verstand sie aber irgendwie.
»Ich meine, was weiß ich, was das für ein Kind wird. Es ist unseres, aber es ist etwas Eigenes, und wir können nicht bestimmen, was daraus einmal wird. Und oft bewirkt die ganze Anstrengung um ein Kind genau ihr Gegenteil.«
Der Gedanke erschien ihm logisch, machte ihm aber gleichzeitig Angst. Er stellte sich das Bild eines Embryos in der achten Woche vor, mit dem Aussehen einer Garnele, der an der dicken Nabelschnur hing, worin das Blut deutlich sichtbar war, mit Augen wie ein Lurch und einem Schriftzug darunter, worauf »Mörder« stand. Plötzlich tat sich etwas wie ein Abgrund in seinem Kopf auf. »Ein so unschuldiges Wesen«, dachte er sich, »noch gar nicht auf der Welt, muss das sein, dass diesem Wesen schon ein Stempel von Erwartungen aufgedrückt ist, bevor es überhaupt geboren ist, dass es nur ein einziges, unausweichliches Schicksal hat, eine Linie, die es auf der Welt ziehen kann?«
Die Fatalität dieses Gedankens und die Wucht, mit der er ihn traf, bewirkte, dass ihm seine Haut eng erschien und seine Wahrnehmung wie die eines Fremden. Leben wir denn nur in einer großen Vorstellung?, fragte er sich. Die Kinder sind nicht einmal auf der Welt und haben schon einen Beruf, oder man hat eine Vorstellung davon, was sie einmal werden sollen. Was, wenn aus ihnen Mörder und Geisteskranke werden müssen? Er würde Vater werden, und die Idee, dass er vielleicht der Vater eines Betrügers oder Mörders werden könnte, war ihm unerträglich.
Als ihm die Enge in seiner Brust unerträglich wurde, öffnete sich die Tür zum Behandlungszimmer, und die Frauenärztin steckte ihren Kopf heraus.
»Frau Rampelhoff«, sagte sie, »kommen Sie doch bitte zu mir. Der Papa natürlich auch, den brauchen wir«, sagte sie augenzwinkernd.
Obwohl es ihm irgendwie unangenehm war, stand er auf und nahm Omka an der Hand.
»Na dann«, sagte er, »sehen wir uns an, was es da drin so macht«, und ein banges Gefühl beschlich ihn.
Sie betraten das Behandlungszimmer und setzten sich an den Tisch. Darauf lag eine in durchsichtigem Plastik eingeschweißte Zeichnung eines Babys in der Gebärmutter kurz vor der Geburt. Der Kopf lag nach unten und das Kind hatte einen gleichgültigen Gesichtsausdruck.
»Omka Rampelhoff … darf ich Omka sagen? Ja? Und Herr … Entschuldigen Sie«, sagte sie und sah ihn an.
»Josef
Weitere Kostenlose Bücher