Omka: Roman (German Edition)
von diesen Schnapphunden, denen der Kiefer einrastet, wenn sie einmal zugebissen haben.«
Er dachte nach.
»Bis auf die Tatsache, dass sie zusammengewohnt haben, hat sich nach der Hochzeit nicht sonderlich viel geändert. Mein Vater hatte seine Geliebten, und wenn sie ihm deshalb Vorwürfe machte, tat er so, als verstehe er überhaupt nicht, was sie von ihm will. Vielleicht hat er es auch wirklich nicht verstanden«, sagte Omka. »Ich kann mich noch gut erinnern, als meine Mutter einmal zu ihm sagte: ›Auf irgendetwas muss man sich doch einigen können! Betrug ist etwas Schlechtes, und der Ehebrecher ist im Unrecht, da gibt es doch nichts zu diskutieren, und du machst, was du willst und fragst mich, warum der Ehebrecher im Unrecht sei! Ich werde noch verrückt!‹ Das war das einzige Mal, dass ich so etwas von ihr gehört habe.«
»Hat deine Mutter dir das alles erzählt?«, fragte er Omka.
»Ach woher«, sagte sie und gähnte. »Einiges weiß ich von der alten Nachbarin, anderes von ihrem langjährigen Liebhaber, und den Rest habe ich mir selber zusammengereimt. Sie hat mir sonst immer nur erzählt, dass alles wunderbar war, ich ein gewünschtes und heiß ersehntes Kind war und die ganze Ehe ein nicht enden wollender Traum. Das sagt sie heute noch und das, obwohl sie weiß, dass ich die Geschichte kenne.«
»Nun ja«, sagte er, »wenigstens ist niemand gestorben.«
In der Nacht wachte er auf, weil er ein klopfendes Geräusch hörte. Es war gleichmäßig und beständig und klang, als würde jemand an die Wand klopfen. Draußen war es windig und kalt, und er stand auf und hängte den Fensterladen ein. Als er zu Omka ins Bett zurückkam, legte er sich an ihren Rücken, schlang einen Arm von hinten um sie. Sie schlief, und er merkte, dass sie träumte. Sie sagte etwas, er verstand sie erst nicht und hielt seinen Kopf näher an ihren Mund. »Wasser«, sagte sie leise und noch einmal: »Wasser.« Er streichelte ihr Gesicht und bemerkte, dass es nass war. Ohne nachzudenken, fasste er ihr zwischen die Beine und spürte eine warme Nässe. Verwundert schaltete er die Nachttischlampe ein und erschrak. Seine Hand war voll Blut, das Laken fleckig, weil er sich zur Lampe getastet hatte, und der Schalter der Nachttischlampe ebenfalls. »Wasser«, sagte Omka noch einmal leise. Er sah den Flecken nach, die unter die Bettdecke führten, und schämte sich, dass er die Situation sofort begriff und nicht einmal die kalte Panik ihn packte. Ohne sie zu wecken, griff er zum Telefon.
Im Krankenhaus saß er vor dem Untersuchungszimmer. Er hörte Omka drinnen weinen. Er hatte einige Zettel, auf denen Gesundheitsvorsorgetipps standen, zu einer Rolle gedreht und knetete sie nervös und drückte sie zusammen und machte Bewegungen, als würde er ein nasses Tuch auswringen, bis man die Schrift beinahe nicht mehr lesen konnte. Seine Nervosität wich einem Hass auf das Papier zwischen seinen Händen, auf die nunmehr unleserlichen Gesundheitstipps, die auf ihnen standen. »Sorgen Sie vor«, hatte auf dem Papier gestanden, als man die Schrift noch lesen konnte, ein glücklich lächelndes Paar war in der Mitte zu sehen. Wut stieg in ihm hoch, er drehte das Papier noch fester zusammen, bemerkte den Punkt, an dem er nicht weiterdrehen konnte, legte mehr Kraft in seine Bewegung, und langsam und undeutlich gab es schließlich nach. Nicht wie ein Riss, sondern ganz sanft teilte sich das Papier in zwei Hälften, von denen zwei Enden abstanden, die wie Nadeln aufeinanderzeigten. Drinnen weinte Omka, und der Arzt sagte: »Beruhigen Sie sich, Sie dürfen sich jetzt nicht aufregen.« »Sorgen Sie vor!!!«, dachte er sich. »Was gibt es denn vorzusorgen?«
Er dachte wieder an den Schwimmunfall, an ihre Alpträume, den Gedächtnisverlust, die Scheidung. »Ja, sorgen Sie vor! Wir sollten vorsorgen!«, dachte er hasserfüllt.
Die Tür ging auf. »Herr Grentshäuser«, fragte der Arzt.
»Ja«, sagte er.
»Kommen Sie doch bitte herein.«
Er betrat das Behandlungszimmer. Omka lag wie erschossen neben dem gynäkologischen Stuhl auf der Untersuchungsliege und machte den Eindruck, als ob sie irgendwo anders wäre, im ersten Moment kam sie ihm vor wie betrunken. Er sah den Arzt fragend an.
»Wir haben ihr eben ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben«, erklärte er. »Dr. Andreas Ragin«, las Josef auf seinem Schild.
»Frau Rampelhoff hat zugestimmt.«
»Was«, fragte Josef und schluckte. »Was ist denn passiert«, und fühlte sich wie ein
Weitere Kostenlose Bücher