Omka: Roman (German Edition)
Widerrede gab, sondern genervt lächelte, weil er wusste, dass sie das noch mehr ärgern würde. Da ging die Frau mit dem Kind zum Kinderwagen, um es hineinzusetzen und weiterzuschimpfen. Wieder trug der Wind die Sätze davon, sodass Omka nur einzelne Fetzen verstehen konnte.
»… interessiert dich überhaupt nicht!«, schrie sie und: »du bist der Vater, ist dir das eigentlich …« und: »jedes Kind braucht einen …« und: »… will doch nur, dass alles gut geht.«
Da wurde der Mann böse und schrie auch. Ihn konnte Omka besser verstehen, weil er mit dem Gesicht zu ihr stand.
»So ein Blödsinn! Es soll ja gar nicht gut gehen! Dann wäre ich nämlich nicht mehr in der Schuld! Du hast mir gesagt, es kann nichts passieren! Mich hat keiner gefragt, ob ich das alles will! Tu doch nicht so, als hätte ich dich sitzengelassen!«
Das kleine Mädchen, das über die Schulter seiner Mutter in Omkas Richtung sah, hob die Hand ein bisschen, als würde es ihr zuwinken wollen, und lächelte. Sie sah das Kind an und lächelte zurück.
Vor Omkas Augen stieg ein Bild auf. Ein zerwühltes Bett, flüchtige Berührungen, zwei, drei leidenschaftliche Nächte, kein Abschied, aber zwei Monate später ein Anruf wegen zwei rosa Linien auf einem dünnen, weißen Streifen. Darauf folgte ein Recht, das man als Mutter offenbar hatte, ein Platz in der Welt, ein Status und eine unausweichliche Konsequenz. Insgeheim wünschte sich Omka, dass sie auch etwas davon hätte. Dieser böse Gesichtsausdruck, der schöne, junge Mann, das Kind auf der Schaukel, das selbstsichere Auftreten der jungen Mutter mit den vollen Lippen, und sie dachte daran, ob sie nicht auch hie und da rauchen könne, einfach so, weil sie es wollte. Wenn es ihr nur schmecken würde. Aber so war das alles nicht. Omka überlegte ernsthaft, was anders wäre, wenn sie und Josef kein Paar wären und sie trotzdem das Kind von ihm hätte. Sie könnte ihn andauernd anrufen, auch wenn er sie nicht einmal leiden könnte. Sie könnte Geld von ihm verlangen mit der Begründung, es sei für das Kind, und brauche ihm aber nichts zu erklären. Sie könnte ihm sagen, sie könne die Miete nicht bezahlen und wenn er nicht wolle, dass sie mit seinem Kind auf der Straße stünde, müsste er das tun. Er würde sich schämen, weil er ein anständiger Mensch war, er würde sich Mühe geben, damit alles gut würde, und je schlimmer sie sich benehmen würde, desto besser wäre sie dran. Mit der Schuld, die er hatte, weil das Kind ja immerhin durch ihn zustande gekommen war und er nicht mit ihr lebte, käme sie mit Leichtigkeit durchs Leben. Sie hätte keine Pflichten ihm gegenüber, er hätte aber gegen sie und das Kind sehr wohl Pflichten. Sie könnte eine Plage sein und wäre trotzdem im Recht, weil sie alleine das Kind aufziehen würde. Sie würde liebevolle Briefe und aufmunternde Worte von ihm bekommen, die Konsequenz des Versuches, sie dazu zu bewegen, ihr Leben mit dem Kind zu regeln. Aber darauf könnte sie immer sagen: »Du bist der Letzte, der mir zu raten hat. Du hast dich aus der Verantwortung dem Kind gegenüber gezogen, weil du nicht mit uns zusammenlebst und nur bezahlst und denkst, das sei genug.« Und was sie machte, wie sie das Kind erzog, was sie ihm über den Vater erzählte und ob es wahr war oder nicht, hätte absolut keine Bedeutung. Sie könnte das Kind nach ihrem Belieben formen, und wenn es dem Vater noch so wenig passte. Er dürfte es weder bestrafen noch sich einmischen. Und Jonas würde sie trotzdem lieben und den Vater hassen, weil er die Mutter schnöde verlassen hätte und an ihm niemals interessiert gewesen wäre. Omka würde ihm das sagen, und er würde es glauben. Das war echte Macht.
Die Mutter war mit dem Kinderwagen weggefahren, der junge Mann nahm sich eine Zigarette aus der Tasche seines Trenchcoats und verdrehte die Augen, als er sie anzündete. Muss ein Vater sein Kind mögen?, fragte sich Omka und sah Jonas zu, der Sand in sein rotes Eimerchen mit den weissen Punkten schaufelte.
Der schöne junge Mann stand noch immer hinter der leeren Schaukel und fasste nochmals in die Tasche seines Trenchcoats, bemerkte die Zigarette in seinem Mund und griff sich mit einer Hand an den Kopf. Die wenigen Mütter auf dem Spielplatz hatten die Szene alle aufmerksam mitangesehen, während ihre Kinder auf dem Klettergerüst oder im Gras spielten. Eine mit einem rosa Kinderrucksack, auf dem kleine, fliegende Einhörner waren, hatte die ganze Zeit mitleidig
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