Omnia vincit amor - Liebe besiegt alles
leise.
»Miriam, komm bitte mit«, forderte Ana mich daraufhin eindringlich auf.
»Nein«, entgegnete ich und fixierte die Bäume des Parks.
»Was haben wir dir getan?« Ana hatte noch nie so böse mit mir geklungen.
»Nichts«, seufzte ich und drehte mich um. Eine kühle Hand packte mich am Oberarm. Ich sah über meine Schulter in Anas schwarze Augen. Elias hatte sich weggedreht und weinte hilflos. Es brach mir das Herz, dennoch sah ich nur ohnmächtig zu, wie er zusammenbrach.
»Miriam Groza, du kommst jetzt mit uns«, fauchte Ana und brachte damit wieder die Wut in mir zum Kochen. Es war gut, etwas zu fühlen, besser als die Taubheit, die ich schon den ganzen Morgen gefühlt hatte. So konnte ich mich an etwas klammern.
»Lass mich los oder das waren die letzten Worte, die ich jemals mit dir gewechselt habe«, zischte ich und es tat mir schon leid, bevor ich es über die Lippen gebracht hatte. Aus irgendeinem Grund hatte ich ständig das Bedürfnis den Zwillingen wehzutun – vielleicht damit sie mich in Ruhe ließen? Mit aufgerissenen Augen starrte mich Ana an, löste ihren Griff und sah verängstigt zu ihrem Bruder, der mittlerweile in die Hocke gegangen war. Ich sah wieder nach vorne und zog meinem Pullover über den Kopf. Eine Verwandlung könnte helfen! Vielleicht konnte ich ein Tier bleiben? Für den Rest meines Lebens …
Nach meinem neunstündigen Streifzug mit einem längeren Nickerchen unter raschelnden Bäumen, entschied ich wieder heimzugehen. Ich hatte Angst, was mich erwarten würde, nach dem, was ich Ana an den Kopf geworfen hatte. Wenigstens wusste ich jetzt einigermaßen, warum ich mich so verhielt. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben und stieß alles, was mit Emilias Tod zu tun hatte, eiskalt von mir. Selbst ihren trauernden Sohn, der eigentlich mein ganzes Herz erfüllte. Sie durfte nicht tot sein, vor allem nicht wegen mir! Also beschäftigte ich mich mit allem, was mich davon ablenkte, den Schmerz des Verlustes zu fühlen. Starrköpfig klammerte ich mich an jeden Gedanken, der mich wütend machte und sah in allem, was die Zwillinge taten, einen Angriff. Dass sie keinen Platz im Bett für mich gelassen hatten, dass sie mich bei der Trauerfeier nicht zu sich gerufen hatten. Ja, ich warf Elias sogar vor, dass er sich, als die Schüsse gefallen waren, nicht erst nach mir erkundigt hatte, sondern gleich zu seiner Mutter gerannt war. Ich war hochschwanger mit SEINEM Kind! Seht ihr, da ging es schon wieder los. Hass ist ein mächtiges Gefühl und ich richtete es gegen jeden, der mir in die Quere kam. Selbst während der Trauerfeier hatte ich mir eingeredet, dass alle wütend auf mich und meinen Babybauch gestarrt hätten. Ich war mir ziemlich sicher, dass Emilian und Melina lieber meine Asche im Wind verteilt hätten – oder redete ich mir das nur ein? Wie eine Spionin schlich ich mich in meine Wohnung. Musik und Stimmen drangen von irgendwo zu mir durch. Es klang wie aus einem Radio, nur was sollte das sein? Ein Bericht über eine Party? Ich schloss leise die Tür hinter mir und fand den Grund für die seltsamen Geräusche. Mein Laptop stand aufgeklappt auf unserem neuen Wohnzimmertisch und spielte ein Video ab. Als ich näher heran kam, sah ich, dass es unser Hochzeitsvideo war. Elias und ich tanzten, während sich mein Vater, der Kameramann, offensichtlich im Hintergrund mit Heinrich unterhielt. Typisch Papa. Er hatte sein Maul beim Filmen noch nie halten können. Ich ging noch ein paar Schritte näher und fand Elias schlafend auf der Couch. Er hatte sich eine richtige Decke aus vollgeweinten Taschentüchern gemacht, doch etwas irritierte mich. Neben ihm auf dem Boden lag ein wunderschöner Strauß Blumen und ein Brief, der meinen Namen trug. Ich kniete mich zwischen Sofa und Tisch, machte das Video aus und fuhr den Laptop herunter. Leise griff ich nach dem Brief und sah meinen Mann dabei prüfend an. Was hatte er da im Arm? Vorsichtig schob ich einen Ärmel zur Seite und entdeckte seinen alten Teddy Ursus. Er trug immer noch den Calimero Strampler, den mir Elias einmal geschenkt hatte. Man musste nicht Einstein sein, um zu verstehen, wen er da eigentlich an sein Herz drückte. Ich würgte ein Schluchzen hinunter und öffnete leise den Brief.
Liebe Miriam,
da ich weiß, dass ich im Moment nicht die passenden Worte finden würde, schreibe ich dir diesen Brief. Ich glaube, ich weiß endlich, warum du mir böse bist. Du hast mir mal gesagt, dass ich dein Held sei. Mit Sicherheit bist du
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