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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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mir ein englisches Wort, und ich behalf mir mit einer etwas umständlichen Umschreibung. Manche Gebäude hatte ich nach der ersten Tour auch völlig ausgelassen, weil mir beim Erklären aufgefallen war, dass ich selber noch nicht genau verstanden hatte, was es damit überhaupt auf sich hatte.
    Daraufhin hatte ich mir zwei Tage Nachsitzen verpasst. Erst hatte ich noch gedacht, ich würde ein paar Standardwerke zur Geschichte Berlins wälzen müssen, hatte dann aber festgestellt, dass für die nötige Kürze meiner Erklärungen Wikipedia völlig ausreichte. Jetzt fühlte ich mich richtig gut vorbereitet. Fall auf die Knie, Mona! Helmuth Karl Bernhard Graf von Moltke (1800–1891) war preußischer Generalfeldmarschall und führte die Schlacht von Königgrätz. Der Marstall heißt auf Englisch »the royal stables« (im Britischen auch »mews«), und eine kurze Google-Recherche hatte ergeben, dass kein Schwein das Glockenspiel im Tiergarten »St. Daimler« nennt. Da kiekste, wa? Ich gehe nach einer Woche besser vorbereitet aufs Schiff als du nach drei Jahren.
    Die zweite Schicht stand an. Das Oberdeck war gut gefüllt, die Sonne schien, und laut Bootsmann waren noch keine ausländischen Gäste an Bord, sodass ich alle Ansagen auf Deutsch machen konnte. Ihr werdet jetzt mal fein was von mir lernen. Da werdet ihr aber staunen, meine lieben kleinen Touristenfreunde.
    Ich begrüßte die Passagiere freundlich, wies auf die niedrigen Brücken hin und stieg sofort ein.
    »Meine Damen und Herren, hier links sehen Sie den Berliner Fernsehturm, 368 Meter hoch und im Jahre 1969 eröffnet. In der Kugel befinden sich eine Aussichtsetage und ein Café. Das Café dreht sich zweimal pro Stunde.«
    In der dritten Reihe saß ein grinsender Mann:
    »Wissen Sie, wie man das Café früher genannt hat?«
    »Äh … nein.«
    »Café Bismarck. Jeder Biss ne Mark.«
    Ich lächelte ein höfliches Lächeln. Na gut. Café Bismarck hatte ich zwar noch nie gehört, aber konnte ich mir ja mal merken. Wer wusste, wofür es noch gut sein konnte. Drei Minuten später sprach ich über das Nikolaiviertel und die dort stehende Bronzeskulptur »St. Georg im Kampf mit dem Drachen«. Wieder quatschte der Mann dazwischen:
    »Wissen Sie, wie man das Denkmal früher genannt hat? Nein? Schwiegermutterdenkmal. Hahaha! Verstehen Sie? Wegen Drachen. Schwiegermutter.«
    »Aha«, sagte ich und lächelte wieder. Auch das werde ich mir mal merken, dachte ich. Vielleicht ist ja irgendwann eine Herrengruppe vom Typ Kabarettgänger an Bord und freut sich über solche Biedermeierwitze.
    »Links die Reste des Palastes der Republik. Früher stand hier das Stadtschloss der preußischen Könige, das nach dem Krieg gesprengt wurde. In den Siebzigerjahren wurde hier der Palast der Republik gebaut, zum einen als Tagungsort der Volkskammer, des Parlamentes der DDR , zum anderen als eine Art Haus des Volkes mit Restaurants, Veranstaltungsorten und einer Kegelbahn.«
    Wenn du Spitznamen willst, dann sollst du sie bekommen:
    »Wegen der ungewöhnlichen Innenbeleuchtung nannten die Berliner den Palast der Republik auch Erichs Lampenladen.«
    Bitteschön!
    »Und Palazzo Protzo«, bellte der Mann. »Das war auch noch so ein Spitzname. Palazzo Protzo.«
    Ah ja, vielen Dank auch. Diesmal lächelte ich ein herablassendes Lächeln, das ich von einem Pamphletverteiler einer kommunistisch-antifaschistisch-marxistisch-leninistischen Hochschulgruppe gelernt hatte, als ich ihm sagte, ich könne mit Partisanenrhetorik nichts anfangen.
    Wir legten am Haus der Kulturen der Welt an, fünf Minuten Pause. Sofort stand der Mann auf und kam auf mich zu. Er zog die ganze Zeit die Oberlippe hoch, als wollte er »Hä?« sagen, und bekam dadurch riesige Nasenlöcher. Wahrscheinlich hieß er Eberhard. Was kommt jetzt?
    »Der Tiergarten war ja ganz kahl nach dem Krieg. Da stand ja kein Baum mehr«, sagte er unvermittelt.
    »Guten Tag«, sagte ich und stand auf. »Kann ich Ihnen eine Frage beantworten?«
    Eberhard schien mich gar nicht zu hören.
    »Kein Baum mehr«, sagte er. »Da stand kein Baum mehr.«
    »Das ist richtig«, sagte ich. »Die Berliner haben Brennholz gebraucht und haben den Tiergarten abgeholzt. In den Fünfzigern wurde der Tiergarten dann wieder aufgeforstet, zum großen Teil aus amerikanischen Mitteln.«
    »Und für das Auto mit Holzvergaser. Dafür auch. Nicht nur zum Heizen. Damit sind wir früher herumgefahren. Deshalb war hier alles kahl. Weil wir das Holz gebraucht haben. Aber, das kennen

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