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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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ungefähr 120 Passagiere standen. Das Unterdeck war mit Häkeldeckchenkomfort und Wandaschenbechern aus Reichsbahnbeständen ausgestattet und bot etwa fünfzig Gästen Platz. An der Friedrichstraße legten die kleinen, moderneren Schiffe an, die nur aus einem Deck bestanden, dafür aber ein aufziehbares Verdeck hatten. Hier gab es auch Tische, und es war Platz für sechzig Gäste. Auf einem dieser Schiffe hatte ich meine erste Schicht. Die Besatzung bestand immer aus vier Mann: Kapitän, Bootsmann, Kellner und Stadtbilderklärer.
    Noch am Ufer steckte ich mir mein Namensschild ans Hemd. Ein Mann, der offensichtlich der Bootsmann war, stand am Eingang.
    »Ach, du bist der neue Quatscher. Tach.«
    »Tach. Und wer bist du?«
    »Du kannst Chef zu mir sagen.«
    Super. Ein Komiker.
    »Aber ich bin der Oberchef«, rief der Kapitän von der Brücke, ohne sich umzudrehen.
    »Hallo. Ich bin Tilman«, sagte ich.
    »Ach komm, lüg doch nicht. So wie du aussiehst, heißt du Sören oder Malte.«
    Nachdem Bootsmann und Kapitän ihr Komikprogramm abgespult hatten, konnte ich doch noch in Erfahrung bringen, dass der Kapitän Jürgen und der Bootsmann Mike hieß. Ja, tatsächlich Mike. Er hatte mich extra nochmal auf die Schreibweise hingewiesen:
    »Ich heiße Mike. Aber nicht mit A-I, sondern mit I-K-E. Wie sich dit jehört.«
    Da sag noch mal einer, die Ossis hätten alle dämliche Vornamen.
    Es gibt mehrere Sorten Berliner: den maulfaulen Miesepeter und die scherzkekshafte Labertasche. Der Miesepeter hat eine tiefe Stimme, der Scherzkeks eine hohe. Keiner von beiden meint es böse, trotzdem kann man beide nur in Maßen ertragen. Der Bootsmann machte schon mal den Eindruck eines Scherzkekses, beim Kapitän war ich mir da nicht so sicher. Hoffentlich habe ich hier nicht drei Scherzkekse auf einmal an Bord, dachte ich. Ein Stadtbilderklärer, der langweiliger ist als das technische Personal, wird keinen einfachen Stand haben.
    Ich schloss mein Mikrofon an und sortierte mich. Es war ein warmer Tag, und die Besatzung hatte das Verdeck schon ganz aufgeschoben. Der Kellner ging über das Deck und nahm die ersten Bestellungen auf. Ich wollte ihn nicht in seiner Arbeit unterbrechen und beschloss, mich ihm später vorzustellen. An einem Tisch saß ein Rentnerehepaar in gedecktem Beige. Der Mann stopfte sich gerade eine Pfeife.
    »Entschuldigung«, sagte der Kellner. »Das Rauchen ist hier leider verboten.«
    Der Rentner sah von seiner Stopfarbeit zu ihm auf und schaute dabei so erstaunt, als hätte jemand »Verpiss dich, du Arschloch« zu ihm gesagt.
    »Bitte? Also, das … äh …«
    »Ist leider so«, sagte der Kellner. »Ich kanns leider nicht ändern.«
    Dem Rentner schien das nicht zu reichen.
    »Ja, aber … leben wir denn in einem Land, in dem man einfach so alles verbieten kann? Was ist denn –«
    »Na gut«, unterbrach der Kellner den Rentner, zog einen Stuhl heran und setzte sich zu ihm an den Tisch. »Dann setz ich mich. Führen wir eine politische Diskussion! Dann kann ich Ihnen aber nüscht zu trinken bringen.«
    Der Gast ignorierte diesen Vorstoß:
    »Wir haben doch wirklich Wichtigeres zu tun, als das Rauchen zu verbieten. Es gibt doch so viel –«
    »Kinder, heut gibts nüscht zu trinken«, rief der Kellner übers Deck. »Ich muss hier übers Rauchen diskutieren. Bar is zu.«
    Ein paar Leute warfen einander verständnislose Blicke zu. Der Kellner machte seine Ankündigung wahr und stieg sofort ein:
    »Wissen Sie, mir geht diese Verbieterei ja auch ganz schön auf den Sender. Was wollen die eigentlich noch verbieten? Rauchen hamse schon geschafft. Gurtpflicht, Helmpflicht, Badekappenpflicht, und jetzt ist auch noch die Glühbirne dran. Irgendwann verbieten die noch Bohneneintopf und Sauerkraut, damit nicht mehr so viel gefurzt wird, weil das ja schädlich sein könnte. In zehn Jahren wird Rauchen und Trinken sowieso ganz verboten sein, und in den Läden gibts nur noch Müsli. Sterben ist dann auch verboten. Ich weiß noch nicht, wie man dann die Leute bestrafen will, die es sich trotzdem erlaubt haben zu sterben, aber das schaffen die auch noch. Dann bin ich aber hier weg, das sag ich Ihnen. Ist mir scheißegal, dann geh ich in den Kongo oder wenns ganz schlimm kommt nach Holland. Mein Feierabendbier lass ich mir nämlich nicht verbieten.«
    Der Rentner fand keine Worte, die er dem Wortschwall des Kellners entgegensetzen konnte. Stattdessen versuchte er, mangelnde Schlagfertigkeit durch Öffnen des Mundes zu kompensieren.

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