On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
einen Blumenladen und sagt: Haben Sie Margeriten?«
Deutlich wurden die Unterschiede in der Denkgeschwindigkeit hörbar. Zwei oder drei Gäste lachten sofort, der Rest brauchte ein paar Sekunden länger.
»Versteh ich nicht«, sagte Eberhard.
Klaus streckte den Daumen nach oben und ging wieder unter Deck. Jawoll, ein Punktsieg. Weiter im Text:
»Auf der rechten Seite sehen Sie die Schweizer Botschaft. Sie ist das einzige Gebäude, das vom sogenannten Alsenviertel übrig geblieben ist. Dieses Viertel hatten die Nationalsozialisten abgerissen, um dort ihre riesige Halle des Volkes zu bauen, wozu es aber, wie Sie sehen, nie gekommen ist. Heute ist hier nichts weiter als eine große Wiese. Ich möchte darauf hinweisen, dass dieses Gelände früher vollständig bebaut gewesen ist. Da war ja alles voll. Da war ja ganz viel. Da konnte man nicht von hier bis zum Brandenburger Tor gucken. Da stand ja alles noch. Aber das kennen die meisten ja nicht mehr.«
Die Studenten kicherten wieder. Eberhard guckte teilnahmslos in die Ferne.
»Ein Satz noch zur Siegessäule: Auf der Siegessäule hat die irische Band U2 einen Teil ihres Videos zu ›I still haven’t found what I’m looking for‹ gedreht. In diesem Video können Sie sehen, wie der Sänger Bono auf der Schulter der goldenen Statue der Siegesgöttin Victoria steht und ihr ins Ohr singt. U2 kennen Sie ja bestimmt alle.«
Eberhard schwieg.
Ich zog meine Ansagen bis zur Anlegestelle durch und wurde kein einziges Mal unterbrochen. Sollte ich es wirklich geschafft haben? Oder hatte ich jetzt einem einsamen alten Mann seine einzige Möglichkeit der sozialen Partizipation und damit seine letzte Erbauung genommen? Es kicherte auch niemand mehr.
Als wir angelegt hatten und ich am Ausgang stand, fiel ein bisschen Trinkgeld in meine Hände, aber keiner der Gäste hatte ein Wort des Lobes oder der Kritik für mich übrig. Nur einer der Studenten sprach mich an:
»Das war nicht das Video von ›I still haven’t found what I’m looking for‹, sondern von ›Stay‹, gell. Merken!«
»Ach so … äh, o.k. Danke.«
Ich sah Eberhard kommen und hatte ein schlechtes Gewissen.
»Auf Wiedersehen«, sagte ich und versuchte, versöhnlich zu klingen. Er blickte nicht auf und ging wortlos an mir vorbei.
»Na siehste, geht doch«, sagte Klaus, als alle von Bord waren. »Manchmal muss man die Leute eben etwas zurechtweisen. Das ist deine Bühne und dein Job, und da hat dir niemand was zu erzählen.«
»Hm … aber meinst du nicht, dass ich die Stimmung damit ein bisschen zu arg runtergezogen habe?«
»Ach was«, sagte Klaus. »Früher zu DDR -Zeiten haben wir das immer so gemacht.«
»Aber woher soll ich das denn wissen?«, sagte ich. »Das kenne ich doch nicht mehr.«
Rätsel der Menschheit
I ck lass die Leute jetzt auf Schiff, sarickma«, sagte Klaus und nahm die Kette vom Eingang.
Warum benutzen die Berliner eigentlich nach »auf« nie einen Artikel? Sie gehen auf Klo, sind gerade auf Arbeit und rufen einander auf Handy an. Warum machen sie das und warum nur in diesem Fall? Sie könnten doch zum Beispiel auch nach »unter« den Artikel weglassen. Dann lägen sie im Bett unter Decke, ihr Auto hätte ordentlich PS unter Haube, und wenn sie stürben, kämen sie unter Erde. Rätsel des Berliner Dialektes. Trotz meiner mittlerweile acht Jahre in Berlin hatte ich einige dieser Rätsel nicht lösen können, zum Beispiel die Berliner Endungs-s-Feindlichkeit. Es scheint dem Berliner unmöglich zu sein, am Wortende nach »er« ein s zu sprechen. Er trinkt »Selter«, das er vorher in der Kaufhalle namens »Kaiser« gekauft hat. Er sieht gerne Fernsehsendungen mit dem Kabarettisten Volker Pisper oder amerikanische Komödien mit dem Schauspieler Mike Myer und erinnert sich noch gut an den früheren Bundesinnenminister Rudolf Seiter. In der Cafeteria der Humoldt-Universität klebt bis zum heutigen Tag am Schokoriegelregal die Aufschrift: »Knopper 80 Cent«. Leider hat die Cafeteria kein »Snicker« im Sortiment. Korrekturversuche und klärende Gespräche mit Berliner Cafeteriabedienungen sind ebenso sinnlos wie gefährlich.
»Es heißt aber doch Knoppers. Steht doch auf der Verpackung.«
»Ick sare Knopper. Schluss.«
»Aber es ist doch offensichtlich falsch.«
»Sarema, willste Ärger mit mir, Freundschen?«
Was sich der Berliner einmal in den Kopf gesetzt hat, das soll ihm der Schwabe nicht nehmen. In Ortsnamen wie Heinersdorf, Woltersdorf und Wilmersdorf hat sich das s wohl
Weitere Kostenlose Bücher