Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
aus wie einen ekligen, schwarzen Käfer. „Sie begruben mich und meinen Bruder unter sich. Ich bekam kaum noch Luft, aber es gelang mir nach einiger Zeit, mich aus dem Berg zu wühlen. Oder waren es meine Eltern, die mich befreit haben? Auch das kann ich nicht mehr genau sagen. Das ist doch seltsam, nicht? Ich weiß nur noch, wie bleich ihre Gesichter wurden, als sie schließlich Per Gustav fanden. Erst später sagten sie mir, er habe ein schweres Schädelhirntrauma erlitten und sei unter dem Stapel aus Papier erstickt.“ Ondragon spürte, wie plötzliche Übelkeit in seiner Kehle aufstieg, und hielt sich eine Hand vor den Mund. Jetzt um alles in der Welt bloß nicht kotzen , dachte er und versuchte angestrengt, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. „Verzeihung, Rod“, presste er nur mit Mühe hervor und fuhr sich mit der Hand über den Hals, der sich wie zugeschnürt anfühlte. „Es …“, er räusperte sich, „es fällt mir schwer, darüber zu sprechen.“
„Schon gut, du musst das nicht …“
Ondragon hob eine Hand. „Doch! Ich muss! Es lässt mir keine Ruhe, verstehst du? Seit ich davon weiß, geht mir mein Bruder nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe seinen Tod, ja, seine ganze Existenz jahrzehntelang verdrängt. Dabei hat er ein Recht darauf, dass ich mich an ihn erinnere. Es ist meine Pflicht, das zu tun!“
„Was ist mit deinen Eltern?“
„Ach, was soll mit denen schon sein?!“, gab Ondragon unwirsch zurück. „Sie haben all die Jahre schön den Mund gehalten. Haben so getan, als sei das Ganze nie passiert. Oder wie erklärst du dir, dass ich Per einfach vergessen konnte.“
Rod hob die Schultern. „War es wirklich so? Vielleicht hat deine Psyche dir nur einen Gefallen getan und die Sache für dich weit weggeschlossen, damit du den Schmerz erträgst.“
„Jetzt fängst du auch schon an wie der Psycho-Doc, bei dem ich vergangenen Sommer in Behandlung war. Nein, das alles klingt zwar plausibel, aber ich glaube, da steckt etwas anderes dahinter. Es kommt mir manchmal so vor, als wäre meine Erinnerung ausgelöscht worden.“
„Das bildest du dir ein, Ecks.“
„Das ist es ja. Ich löse all diese verzwickten Probleme anderer Leute, bekomme aber mein eigenes nicht in den Griff. Beschissene Ironie des Schicksals! Oder doch etwas anderes? Ein Geheimnis, das zu schwer ist, um von mir geknackt zu werden.“ Ondragon breitete die Arme aus. „Der große Problemlöser Paul Eckbert Ondragon scheitert an seiner eigenen Vergangenheit. Ein Scheißdreck ist das!“
„Wenn es dir hilft, kann ich Nachforschungen anstellen.“
„Danke, mein Freund, aber das habe ich schon getan. Das letzte halbe Jahr habe ich alles an Dokumenten und Informationen durchleuchtet, derer ich habhaft werden konnte. Von der Geburts- bis zur Sterbeurkunde Pers, dem ärztlichen Gutachten bis hin zu der dubiosen Behauptung, meine Mutter sei eine Spionin der schwedischen Krone – lachhaft!“ Aufgebracht fuhr er mit der Hand durch die Luft. „Ein paar Gesellen, die sich für ganz schlau hielten, hatten nämlich behauptet, das herausgefunden zu haben. Hat sich natürlich als falsch herausgestellt. Die Mistfliegen wollten mich bloß ärgern. Glaub mir, Rod, ich habe jeden Fetzen an Information durch meine Zentrifuge laufen lassen. Da ist nichts zu finden! Nada, niente! Und doch spüre ich, dass da etwas nicht koscher ist.“
„Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass dein Gespür dich täuscht? Vielleicht ist da tatsächlich nichts zu finden und du steigerst dich bloß in etwas rein.“
Ondragon winkte gereizt ab. „Ich weiß, dass da etwas ist! Und wenn ich noch weitere dreißig Jahre daran zu knabbern habe, ich werde dem Teufel auch dieses Geheimnis entreißen! Gibst du mir noch einen Zug?“ Er deutete auf die erloschene Zigarre zwischen Rods Fingern.
Sein Freund reagierte nicht sofort, holte dann aber sein Feuerzeug hervor, entzündete den Stumpen neu und gab ihn Ondragon, der voller Inbrunst zu rauchen begann.
26. Kapitel
15. Februar 2010
Nan Margot, Haiti
15.30 Uhr
Die Zeit war um, und Ondragon und Rod gingen zu der Madame, die doch tatsächlich beim letzten Patienten angelangt war. Eine erstaunliche Leistung, das musste er ihr zugestehen. Blieb nur abzuwarten, wie viele der armen Kreaturen die Kräuter-Behandlung überleben würden. Mit geschultertem Gewehr trat er neben sie und machte sich einen Spaß daraus, ihr mahnend auf die Schulter zu tippen.
„Ja doch, ich bin sofort fertig!“, zischte
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