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One: Die einzige Chance (German Edition)

One: Die einzige Chance (German Edition)

Titel: One: Die einzige Chance (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Elsäßer
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Wahrscheinlich ein abgenutztes Buch aus der Bibliothek. Eines, das Vince in dieser Situation für passend hielt. Statt offen über seine Gefühle zu sprechen, verschenkte er Bücher. Samuel sollte die Botschaft aus den Geschichten herauslesen. »Das Leben steht zwischen den Zeilen«, hatte er immer gesagt. Was für ein Blödsinn! Sein Vater benutzte die Stimme eines anderen, um Samuel mitzuteilen, was in ihm vorging. Das grenzte fast schon an Autismus.
    Warum erinnerte sich Vincent nicht an sein Versprechen? War es zu lange her? War es längst von der To-do-Liste geflogen? Hatte er es vergessen oder als unwichtig abgetan? Eine Reise in die kanadische Wildnis … dafür hätte Samuel seinen Plan, nach Europa zu gehen, sofort verschoben, aber der Zug war wohl abgefahren.
    Der Regen hörte auf, das dichte Grün und die vielen Bäume wurden von zähem Nebel eingehüllt, einem Nebel, der wie aus einer Trockeneismaschine dicht über dem Boden waberte und eine gruselige Stimmung verbreitete. Nirgendwo anders hatte er so einen Nebel bisher gesehen. Samuel beugte sich hinunter zur Transportbox. Badawi döste mit halb geschlossenen Augen und wirkte völlig entspannt. Die beengten Verhältnisse schienen ihn nicht zu stören. Wenigstens einer, dem der Abschied von der Insel nichts ausmachte. Sein Vater hatte seine Kontakte spielen lassen, weshalb Samuel die Sicherheitskontrollen ohne Probleme passieren konnte. Die notwendigen Papiere hatte ein befreundeter Tierarzt ausgestellt. Vier Wochen Quarantäne hätte Badawi nicht überstanden. Samuel zeigte der Flugbegleiterin sein elektronisches Ticket und wurde an seinen Platz in der ersten Klasse geführt. Als sie sich zu Badawi hinunterbeugte, reagierte der mit einem feindseligen Fauchen. Der Kater entschied im Bruchteil einer Sekunde, ob er einen Menschen mochte oder nicht.
    »Er hat Flugangst«, sagte Samuel peinlich berührt und zuckte die Schultern. Die zierliche Flugbegleiterin reichte ihm ein paar Zeitschriften. Bevor Samuel reagieren konnte, packte die Frau seinen großen Rucksack und verstaute ihn über dem Sitz. Anschließend erklärte sie ihm, wie man den Sitz in eine Liege verwandeln konnte, und versuchte dabei, nicht gegen Badawis Box zu stoßen. »Den Kater können wir auch nach hinten stellen«, sagte sie und deutete mit dem Kopf zu einem leeren Sitz.
    »Ich würde ihn gerne hierbehalten. Er wird sonst quengelig.« Samuel konnte schlecht zugeben, dass er selbst froh darüber war, Badawi in Sichtweite zu haben. Die Flugbegleiterin wollte noch das bordeigene Multimediasystem erklären, als man vom Eingang her aufgeregte Stimmen hörte. Samuel drehte sich um. Der Flugbegleiter diskutierte auf Englisch mit einem vollbärtigen Mann, der wohl nicht mit seinem Sitzplatz einverstanden war. Jedenfalls hielt er dem schlaksigen Flugbegleiter das Handy mit dem elektronischen Ticket vor die Nase, als wollte er ihm den QR-Code in die Stirn brennen.
    »Ich will kein Upgrade«, sagte der Mann mit bebender Stimme. »Ich will den Platz, den ich gebucht habe! Nichts weiter!«
    »Wir wollen uns damit nur für die Unannehmlichkeiten beim Check-in entschuldigen.«
    Ein anderer Flugbegleiter bot zusätzliche Bonusmeilen an, was die Lage nur weiter verschärfte. Schließlich kam eine Flugbegleiterin aus dem hinteren Teil der Maschine herbeigeeilt. Sie versuchte es auf Arabisch und mit einem unterwürfigen Lächeln – und schien den richtigen Schalter gefunden zu haben. Von ihr ließ sich der Gast an einen Platz in der mittleren Reihe führen. Schräg gegenüber von Samuel.
    »Diese Idioten«, sagte der Mann. Nun sprach er deutsch. Samuel hatte das Gefühl, dass er mit ihm redete. Er tat so, als hätte er den Satz nicht gehört. »Ein Bart macht doch keinen Terroristen, oder?« Der Mann schaute ihn direkt an.
    »Nein«, sagte Samuel. »Natürlich nicht.« Er senkte kurz den Blick, denn er dachte das Gegenteil. Natürlich war es ein Klischee. Bärtige Männer mit dunkler Haut und noch dunkleren Augen, die Bomben bastelten, Flugzeuge entführten und im Namen Allahs Unschuldige töteten. Aber auch er konnte sich nicht gegen ein ungutes Gefühl wehren, Hollywood hatte ihn längst infiziert.
    »Wahrscheinlich setzen sie mir jetzt noch einen Sky-Marshall vor die Nase, damit ich nicht mit dem Essbesteck auf die Flugbegleiterin losgehe.« Seine Augen wanderten hinunter zu Badawi. »So würden die mich am liebsten sehen, damit die Leute keine Panik vorm Terroristen kriegen.« Der Mann schlüpfte aus

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