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One: Die einzige Chance (German Edition)

One: Die einzige Chance (German Edition)

Titel: One: Die einzige Chance (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Elsäßer
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nervt echt.« Er fasste ihn mit Daumen und Zeigefinger an.
    »Soll ich ihn dir vielleicht doch ziehen?«, fragte Fabienne.
    »Danke, verzichte.«
    »Dann hör endlich auf, daran rumzuspielen.« Sie griff nach seiner Hand. »Stopp!«
    »Okay«, sagte Samuel.
    Sie ließ seine Hand wieder los und zog das Motorrad vom Ständer. »So, die Karawane muss weiterziehen.«
    Samuel packte den Kater zurück in die Transportbox. »Schauen wir uns mal an, was dein Vater für dich hinterlegt hat.«
    Samuel erschrak. Der Schneidezahn hatte sich durch einen Stoß mit der Zunge nach außen gebogen. »Mist!«
    »Ist das eklig«, sagte Fabienne. »Tu was.«
    Samuel drehte sich von ihr weg, umfasste den lockeren Zahn mit den Fingern und riss ihn mit einem Ruck heraus. Tränen schossen ihm in die Augen. Es tat höllisch weh.
    »Das hast du jetzt nicht wirklich getan, oder?«, sagte Fabienne fassungslos.
    Samuel spürte, wie das Blut seinen Mundraum füllte. Der Schmerz ebbte ab.
    »Warte.« Fabienne zog ein kleines Plastikdöschen aus der Lenkertasche des Motorrads, dann kehrte sie mit einem Tampon in der Hand zu ihm zurück.
    »Mund auf!«
    »Aber …«
    »Keine Widerrede.«
    Kaum hatte Samuel den Mund geöffnet, drückte Fabienne den Tampon in die Lücke. »Und jetzt zubeißen und Klappe halten.«

    Kayan hatte immer noch die Stimme seiner Tochter im Ohr. Gott hatte ihn erhört und ihm diesen Anruf geschickt.
    »Du musst bei der Aufführung dabei sein«, hatte Amélie ihn angefleht. »Mama hat mir so ein schönes Kleid gekauft.«
    Er hatte ihr versprochen, es zu versuchen. Wenn alles gut ging, konnte er schon morgen wieder auf dem Rückweg sein. Dann würde er es bis zur Aufführung am Abend auf jeden Fall schaffen. Als er seiner Tochter erklärte, dass er alles tun würde, um rechtzeitig bei ihr zu sein, hatte er den Blick des älteren Polizisten aufgefangen. Das war ein ehrlicher Moment, das war seine Rettung gewesen. Sie hatten sich in die Augen geschaut und vergessen, was gerade passierte, was ihre Rolle in diesem Spiel war: Ein Zöllner kontrollierte den Wagen eines vermeintlichen Schmugglers. Sie waren nur noch Väter gewesen, die sich um ihre Kinder sorgten. Väter, die wussten, warum sie manchmal im Job die Zähne zusammenbissen und ihre eigenen Träume und Wünsche zurückstellten. Dieser Moment hatte genügt, um die Situation zu entschärfen. Der Mann lud die Sachen wieder in den Kofferraum, ohne die Decke anzuheben. Die Geschenke legte er in die Tüte, als seien sie für seine eigenen Kinder bestimmt. Dann war Kayan eingestiegen und mit einem Lächeln davongefahren. Und jetzt, eine Stunde später, war er immer noch der Überzeugung, dass Gott die Finger im Spiel gehabt hatte, und war erfüllt von tiefer Dankbarkeit.
    Er checkte in das Hotel ein und legte sich aufs Bett. Er wollte keine Bestie sein. Er wollte nicht noch einmal mit dem Messer töten. Er wollte, dass es schnell ging. Das war er sich und seinen Opfern schuldig. Kein unnötiger Schmerz, keine Sekunde zu lange. Er wählte die Nummer eines Kontaktmanns. Er würde ihm eine Waffe abkaufen und dafür das Risiko in Kauf nehmen, eine Spur zu hinterlassen. Das unbenutzte Messer wickelte er in Toilettenpapier, steckte es in eine Tüte und entsorgte es beim Spaziergang am See. Dort erreichte ihn auch endlich die Nachricht: Die Todeszelle hatte sich geöffnet. Das Gnadengesuch war abgelehnt worden. Der Verurteilte musste seine Strafe entgegennehmen. Nur den genauen Ort, wo die Hinrichtung stattfand, den kannte er noch nicht.

    Sie standen vor dem Seiteneingang einer Bank. Neben der Tür befand sich nur ein kleines Schild. Für Leute, die hier kein Schließfach hatten, sollte es wohl aussehen wie ein gewöhnlicher Hauseingang.
    »Ich dachte, man muss durch eine Schalterhalle«, sagte Fabienne. »So wie bei Gringotts.«
    »Bei wem?«, nuschelte Samuel. Der Tampon im Mund erschwerte ihm das Sprechen.
    »Ich glaub, du kannst das Ding jetzt rausnehmen«, meinte Fabienne. »Es sei denn, du stehst drauf.«
    Samuel zog den vollgesogenen Wattestift heraus und warf ihn in einen Mülleimer.
    »Hast du denn nie Harry Potter gelesen?«, fragte Fabienne.
    »Ich mag keine Fantasy.«
    »Das ist keine Fantasy. Lies es einfach und du verstehst, was ich meine. Und zur Info: Gringotts heißt die Zauberer-Bank.«
    Samuel schob die schwarze Kreditkarte in den Schlitz neben der Glastür. Ein Summen und die Tür ließ sich öffnen. Es handelte sich um eine Sicherheitsschleuse. Samuel kannte das

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