One Night Wonder
Indie-Look steht ihm ausgezeichnet, und ich glaube, er hat erfolglos versucht, die weichen Wellen aus seinen Haaren wegzuglätten. Er sagt nicht viel und ich auch nicht, eigentlich kennen wir uns noch gar nicht. Wir falten unsere langen Extremitäten auf die unbequemen Klappstühle, und eine Viertelstunde später geht es los.
Der Typ, der der Autor ist, sieht scheiße aus und ist meiner Meinung nach für Popliteratur auch schon zu alt. Er findet sich witzig, ich bin anderer Meinung. Die Leute um mich herum halten jeden seiner Ergüsse für eine Offenbarung, es gibt sogar Szenenapplaus. Ich gucke auf die Ansätze seiner Halbglatze. Irgendwann muss ich so ausgiebig gähnen, dass ich beide Hände brauche, um nicht meine Mandeln zu verlieren.
»Ist dir etwa langweilig?«, flüstert David in mein Ohr. Sein Atem kitzelt meinen Hals. Ich glaube, er lächelt, ich wusste gar nicht, dass er das kann.
»Ja«, gestehe ich, auch auf die Gefahr hin, ihn zu beleidigen.
»Ach so.«
»Ja, tut mir leid.«
»Nee, schon okay, ich find den auch blöd, aber ich dachte, dir gefällt so was.«
Ich drehe ihm meinen Kopf zu. Seine Augen sind strahlend blau und werden von pechschwarzen Wimpern eingerahmt, obwohl er auf dem Kopf hellblonde Haare hat. Seine Mundwinkel zucken, und dann müssen wir beide lachen. Sofort werden wir mit missbilligenden »Psts!« gemaßregelt. Er greift nach meiner Hand und zieht mich vom Stuhl hoch.
»Dann hauen wir eben ab.«
Zum Glück sitzen wir nicht so weit vorn. Der Literat wirft uns einen empörten Blick zu und die Leute, die für uns aufstehen müssen, auch. Ich kichere immer noch, während ich einigen von denen meine Absätze in die Zehen bohre. Er ist so cool. Männer, die Entscheidungen treffen, sind sexy!
»Und du dachtest, ich steh auf so was?«, frage ich ihn noch mal, als wir wieder draußen vor der Buchhandlung stehen.
»Ja. Ich kenne dich ja kaum!« Er grinst immer noch breit und entblößt eine schneeweiße obere Zahnreihe. Dann nimmt er wieder wie selbstverständlich meine Hand.
»Komm, lass uns was Warmes trinken gehen, hier ist es so ungemütlich.« Ich lasse mich von ihm an die Hand nehmen, obwohl ich es eigentlich verhindern wollte, und genieße plötzlich doch das Gefühl, einfach nur mitlaufen zu müssen. In einem Café in der angrenzenden Altstadt hat er im Nu einen fabelhaften Tisch organisiert und schiebt mir sogar den Stuhl zurück.
»Was möchtest du trinken?«
»Kakao.« Es ist verrückt, er ist ein Jahr jünger als ich, aber in seiner Gegenwart fühle ich mich wie ein kleines Mädchen, und er könnte gut zwanzig Jahre älter sein als ich. Er verzieht keine Miene und bestellt bei der Kellnerin zwei Kakao mit Sahne. Dann stützt er den Kopf auf die Hände und guckt mich an. Der kleine Tisch wackelt ein bisschen, und er sieht aus, als traue er sich nicht, mich etwas zu fragen.
»Hör mal, ich hab da ’ne ganz dumme Frage …«, setzt er schließlich an, und ich kann mir denken, was er wissen will. Marius ist eine Tratschtasche, das war mir vorher schon klar. Ich imitiere seine Haltung und lehne mich zu ihm hinüber.
»Marius hat da was erzählt …«
Ich nicke und lasse ihn weiter nach den richtigen Worten suchen.
»Er behauptet, dass du immer nur einmal mit …?« Er beendet den Satz nicht, sondern guckt mich fragend an. Ich nicke wieder. Er schluckt.
»Aber was ist, wenn du jemanden kennenlernen würdest …?«
»Das tue ich ständig.«
Das war definitiv nicht das, was er hören wollte.
»Aber wenn …«
»Es ist eine Regel«, unterbreche ich ihn.
»Kommst du dir nicht ausgenutzt vor?«, blafft er plötzlich.
»Wer benutzt mich denn?«
Jetzt ist er böse. »Na hör mal, wie naiv bist du denn?«
Und jetzt bin ich böse. »Naiv wäre es, danach an mehr zu glauben. Oder ’nen Kerl flachzulegen, um ihn zu erobern.«
»Und heute Abend?«
»Was, heute Abend?«
»Na, haben wir uns deshalb getroffen?«
»Du kannst mich ja gerne fragen, warum ich mich mit dir getroffen habe. Warum du dich mit mir getroffen hast, weiß ich leider nicht. Aber ich könnte dich ja fragen!«
Darauf weiß er erst mal nichts zu erwidern, stattdessen schnauft er unwillig. Ich hole weiter verbal aus.
»Aber da du ja meine Einstellung kennst, nehme ich mal an, du bist nicht so naiv, wie du jetzt tust.«
»Jetzt halt mal die Luft an!«, raunzt er, lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
Er sieht gut aus, wenn er wütend ist. Er fährt sich grob durch die Haare, dann
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