One Night Wonder
reißt er sich die Brille von der Nase und reibt wie wild mit seinem Pullisaum an den Gläsern herum. Er muss mein versonnenes Lächeln gesehen haben, denn er guckt ziemlich böse. Auch etwas, das bei ihm sehr gut aussieht. Er knallt sich die Brille wieder auf seine Nase und lächelt nicht zurück.
»Du wusstest, worauf du dich einlässt«, setze ich noch einen obendrauf, um zu sehen, ob er mich jetzt packt und schüttelt.
»Du schläfst mit jedem, mit dem du dich triffst?«, schießt er zurück.
»Nein, gar nicht. Wenn er mir nicht gefällt oder wenn er doof ist oder unfähig oder irgendwas anderes nicht passt, gehe ich einfach wieder. Genauso wie ich mich nicht nur mit Leuten treffe, um mit ihnen zu schlafen.«
Ich sehe, wie meine Worte in seinem Kopf nachhallen. Das muss er erst mal verdauen. Ich greife nach meiner Handtasche.
»Ich glaube, ich gehe jetzt besser.«
Er sagt nichts. Ich stehe auf und ziehe meinen Mantel über. Er guckt zur Seite ins Nichts. Ohne ein weiteres Wort verlasse ich den Laden und laufe zurück zu meinem Auto. Mittlerweile hat es angefangen zu schneien. Ich stakse auf meinen hohen Hacken über spiegelglattes Kopfsteinpflaster und bete darum, bloß nicht auszurutschen. Ich dachte, ich wäre wütend, doch mein Kopf ist leer. Ich weiß noch nicht mal, ob ich es schade finde. Er hat einen so eigenen Sex-Appeal, dass ich mir nicht sicher bin, ob er im Bett auch wirklich so spannend wäre, wie ich es mir ausgemalt habe.
*
Zu Hause schmeiße ich mich in eine Jogginghose und zünde ein paar Kerzen an. Dann taue ich ein Fertiggericht auf und verbanne es in den Vorhof zur Hölle, meinen uralten Backofen. Als ich etwas später mein Postfach checke, ist es schon nach 22 Uhr, und ich habe eine neue Nachricht. Sie ist von David.
»Tut mir leid«, steht da, »und ja, ich wusste es vorher. Es war blöd, dich darauf anzusprechen. Wenn du mich noch sehen willst, melde dich einfach.«
»Komm doch vorbei«, schreibe ich leichthin zurück, glaube aber nicht wirklich daran und setze trotzdem meine Adresse darunter. Ich warte auf eine Antwort, doch es kommt keine. Zehn Minuten später klingelt es. Ich schrecke vom PC hoch, an dem ich mir gerade meine Lieblings-Kosmetikseite angeguckt habe. Ein Blick an mir hinunter offenbart dicke Wollsocken und meine Jogginghose, die die besten Tage schon hinter sich hat. Verdammt! Es klingelt noch mal. Ich rutsche auf Socken zur Tür und drücke sämtliche Knöpfe. Im Hausflur höre ich Schritte, und dann muss ich wohl oder übel die Tür aufmachen. Es ist David mit zwei Kartons Pizza.
»Oh, herrje …«, sagt er noch im Hausflur und ist von den drei Etagen Treppenlaufen kein bisschen aus der Puste, »hätte ich gewusst, dass du schon im Bett warst …«
»Hätte ich gewusst, dass du in der nächsten Viertelstunde hier bist …«, antworte ich und versuche, streng zu gucken.
»Pizza!«, sagt er völlig am Thema vorbei und hält mir die Kartons unter die Nase. Ich nehme sie ihm nicht ab, sondern lotse ihn ins Wohnzimmer. Dort fällt sein Blick auf das leere Lasagne-Kartönchen, was mein Abendessen beinhaltet hat.
»Oh Mist, du hast schon gegessen.«
»Es ist schon nach zehn Uhr.«
»Ja, stimmt.« Er sieht ehrlich zerknirscht aus, steht mit seiner roten Kindersteppjacke mitten im Zimmer, und auf seinen Haaren glitzern ein paar verirrte Eiskristalle. Unauffällig versucht er jetzt, die Pizzakartons loszuwerden. Ich erlöse ihn, indem ich sie mir schnappe und auf dem Couchtisch parke.
»Zieh dich aus, setz dich hin, du hast doch aber bestimmt Hunger!« Ich nehme ihm seine Jacke ab, und er lässt sich auf die Couch plumpsen. Ich schalte ihm den Fernseher an und suche in der Küche nach einem Pizzarädchen. Von Erotik keine Spur. Ich sehe aus wie ein Flüchtlingskind und habe auch keine Lust, mich heute noch auszuziehen. Etwas später gucken wir eine schrecklich spannende Doku über ein Mädchen, das Stripperin werden will, essen Pizza und trinken warmen Tee. Wir haben eine überdimensionale Wolldecke auf den Knien, und ich lege meinen Kopf an seine Schulter, ohne nachzudenken. Irgendwann rutscht sein Körper immer tiefer zur Lehne, ich rutsche mit, in Richtung seines Bauchs, und auf einmal sind wir beide eingeschlafen.
*
Als es hell wird, werde ich wach, und er ist weg. Ich blinzle an mir herunter und finde mich, sorgsam mit der Decke zugedeckt, auf der Couch liegend. Langsam richte ich mich auf. Auf einem der Pizzakartons steht mit Kuli geschrieben: »Besser als
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