One Night Wonder
Fensterscheibe. Sie ist kalt, ein bisschen klamm. Trotzdem bewege ich mich nicht.
Als es in meinen Zähnen anfängt zu ziehen, löse ich mich von der Scheibe und hinterlasse einen klebrigen Fleck. Schönen Gruß von der Nachtcreme.
10. Kapitel
Immer wieder David
Am nächsten Morgen stehe ich ziemlich unerholt auf und mache mich fertig zum Arbeiten. Draußen ist es kalt, die Luft klirrt förmlich beim Atmen. Das Thermometer am Fensterbrett zeigt fünf Grad unter Null an, und kurz darauf beginnt es zu schneien. Debo und ich treffen uns am Parkplatz und machen uns zum Laden auf. Sie trägt die von ihrer Tante Hilde geerbte Fuchsfelljacke, die ihr um die Schultern charmante zwei Nummern zu groß ist. Der Fuchs sieht wie grausam überfahren und irgendwie wieder zusammengeflickt aus. Ein Frankenstein-Fell. Und auch schon ziemlich abgeschabt. Ich habe ebenfalls etwas Altes an. Ein Flohmarkt-Schatz, irgend so ein dunkelgraues Fell, keine Ahnung, ob es überhaupt echt ist. Aber warm ist es. Dazu haben wir unsere Secondhand-Designertaschen dabei, ebenfalls schon etwas mitgenommen. Unsere Gesichter werden zur Hälfte von riesigen Sonnenbrillen verdeckt. Gleiches Modell, ich dunkles Violett, Debo warmes Braun. Aus der vorletzten Saison und sechzig Prozent billiger im Internet. Hier erkennt die Marke sowieso keiner, in St. Moritz müssten wir uns jetzt den zischenden Lästereien neureicher Russinnen aussetzen. Deborah pafft, ich jongliere einen Traubenlolli im Mund. Um uns herum auf der Kreuzung kommt der Verkehr zum Erliegen.
*
Die ganze Zeit während der Arbeit brummt in meiner Handtasche das Handy. Ich befürchte, es könnte Lukas sein, und deshalb gucke ich lieber gar nicht drauf. Doch ich habe unrecht. Es ist Jule, die nur nachfragen wollte, ob sie mal im Laden vorbeischauen kann oder ob heute besonders viel zu tun ist. Das erfahre ich, als sie schließlich leibhaftig vor mir und Debo steht, während wir beide gerade die Umkleidekabinen aufräumen.
»Du schaust auch nie auf dein Handy, oder?«
»Ähm nee, heute nicht.«
»Na supi, dann kann ich ja unendlich lange anrufen«, sagt sie und klingt wie Mama. »Hi, Debo! Lange nicht gesehen.«
»Hi, Jule, ja, du hast recht.« Die beiden kennen sich von meinen Partys.
»Wie war denn das zweite Date mit Lukas?«, will Jule jetzt von mir wissen. »Du hast noch gar nichts erzählt.«
»Wer ist Lukas? Und warum weiß ich da nix von?«, fragt Debo.
»Lukas ist Musiker, und Lilly ist ziemlich verschossen in ihn«, sagt Jule taktlos.
»Stimmt gar nicht!«
»Sieht er gut aus?«, will Debo wissen.
»Natürlich«, sage ich.
»Total«, sagt Jule.
»Cool. Und wo habt ihr euch kennengelernt?«
»Auf einem Konzert«, antworte ich schnell, bevor Jule ausplaudert, dass ich nur aufs Konzert gegangen bin, um ihn abzuschleppen.
»Wie romantisch!«, sagt Debo. Jule will den Mund aufmachen, doch ich schaffe es, sie mit einem Blick zum Schweigen zu bringen.
»Ja, es war sehr schön«, sage ich dann.
»Und was wird jetzt aus euch? Wann seht ihr euch wieder?«
»Nun, das wird schwierig. Er wohnt sehr weit weg.«
»Wahnsinn«, seufzt Debo. »Ist er etwa Engländer? Oder Amerikaner? Wie cool!«
»Nein«, antworte ich, während Jule bis zu den Ohren grinst. »Er kommt aus Süddeutschland.«
»Ach so«, meint Debo und wundert sich darüber, dass ich diese läppische Entfernung für einen Hinderungsgrund halte.
»Und was machst du so?«, frage ich Jule, wild entschlossen, das Thema zu wechseln. »Warst du schon Geschenke kaufen?«
»Ach, Geschenke«, seufzt Debo. »Das ist immer so ein sensibles Thema.«
»Nö, ich wollte bloß wissen, was du mit Lukas gemacht hast«, antwortet Jule dreist.
»Ja, das will ich auch wissen«, sagt Debo.
»Ich muss mir mal langsam Gedanken machen. Bei meinem Vater weiß ich zum Beispiel nie, was er sich wünscht.« Die beiden gucken mich fragend an. »Ich will jetzt nichts dazu sagen.«
Debo lässt die Schultern hängen, Jule guckt beleidigt.
»Und wie war das Abendessen bei David?«
»Wer ist David?«
Toll, geht jetzt das Spiel von vorne los?
»In den ist Lilly auch verschossen«, sagt Jule gerade.
»Wow«, haucht Debo. »Zerrissen zwischen zwei Männern, das ist wirklich romantisch!«
»Nein!«, sage ich energisch. »Ich bin nicht zerrissen, Himmel noch mal! Könntet ihr über euch reden, das wäre nett.«
»Hat sie schlechte Laune?«, fragt Debo Jule.
»Ja, weil sie sich nicht entscheiden kann.«
»Ich will mich gar nicht
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