Oneiros: Tödlicher Fluch
als Gastdozent an der Universität von Philadelphia.« Smyrnikov klappte die Unterlagen zu, wie sie vernahm. »Er kann ihr die Bescheinigung nicht ausgestellt haben. Jedenfalls nicht in Homburg.«
Kristin fragte sich, wie weltfremd der Professor war. »Post? E-Mail? Ausdrucke?«
»Frau von Windau, denken Sie, ich würde das nicht in Betracht ziehen? Aber im Gegensatz zu Ihnen ist mir bekannt, dass Wischner seine Zeugnisse
immer
persönlich übergibt und dazu feierliche Worte an seine Mitarbeiter richtet. Immer und ohne Ausnahme.« Smyrnikov freute sich hörbar, im Recht zu sein. »Entweder Rambois ist für ihre Zeugnisse nach Amerika geflogen, oder Wischner war zufällig im Land, was ich wiederum nicht glaube. Was mich zu dem Schluss führt, dass das Zeugnis mit hoher Wahrscheinlichkeit gefälscht wurde. Ich will keine Betrügerin in meinen Reihen wissen.«
»Ich auch nicht, Professor. Danke. Fragen Sie Doktor Dancer, warum er sie uns empfahl. Ich kümmere mich um Rambois.« Kristin legte auf.
Vermutlich wollte die Französin nur ihren Lebenslauf ausschmücken. In ihrem Verstand formte sich eine andere Erklärung für den möglichen Schwindel. Ein Geheimdienst war auf das Institut aufmerksam geworden und hatte ihr einen Spion gesandt. Ob Dancer, der seit zwei Jahren in Minsk forschte, in den Verrat verwickelt war, ließ sich herausfinden. Möglicherweise war er erpresst worden, Rambois einzuschmuggeln.
Kristin überlegte, ob sie sofort nach Paris fahren und sich mit Rambois treffen sollte.
Aber Eugen wartete auf sie in Sankt Petersburg …
Angesichts der Dinge, die ihr Smyrnikov über den Verlauf ihrer Krankheit eröffnet hatte, musste sie ihren Sohn unbedingt sehen und mit ihm sprechen. Er war der Hauptgrund, weswegen sie das alles tat. Er und ihr Vater.
Die Komplikationen wollten einfach kein Ende nehmen. Erst die Sache mit Patient 22 , dann Clarence und die
Los Zetas,
jetzt eine Betrügerin, deren wahre Absichten Kristin noch erforschen musste.
Sie beschloss, in den nächsten Tagen und Wochen noch weitere Todesschläfer zu finden und nach Minsk zu bringen. Als Vorrat.
Falls sich ihr Zustand rapide verschlechterte und sie in den Gefriertank musste, benötigte Smyrnikov etliche mehr von ihrer Art. Für Experimente. Da sie den Ärzten nicht zutraute, sich mit Todesschläfern anzulegen, die gut ausgebildet, bewaffnet und organisiert waren, musste sie selbst diese Vorarbeiten leisten. Rücksicht auf die Geheimhaltung ihrer Identität – zumindest, was die Todesschläfer betraf – brauchte sie auch nicht mehr zu nehmen. Seit der Sache mit Clarence durfte den
Deathsleepers
klar sein, wem sie das Verschwinden des DEA -Agenten verdankten.
Als sie den Flughafen erreicht hatte, zwang sie sich, ihr Grübeln zu beenden. Erfreulichere Dinge warteten auf sie. Eugen. Die Stunden mit ihm. Seine Liebe, das Strahlen seiner Augen, sein Humor und sein fröhliches Wesen, das ihr die Kraft gab, ihre Insomnie zu ertragen und ihren Job zu tun. Für ihn und eine gemeinsame Zukunft.
Sie parkte den Mercedes, stieg aus und ging über den Platz und ins Gebäude, dort steuerte sie den Durchgangsbereich für die Privatflieger an.
Nur zum Test, wie sie es gelegentlich machte, blieb sie wie angewurzelt stehen und drehte sich um.
Eine Frau, die etwa zehn Meter hinter ihr entfernt ging, bog unvermittelt zu einem Zeitschriftenstand ab und schien in plötzlich aufgeflammtem Interesse die ausgelegten Zeitschriften zu betrachten. Sie beachtete Kristin mit keinem Blick, doch ihr Verhalten war auffällig genug.
Bei genauerem Betrachten der Flughafenhalle meinte sie, noch zwei Personen ausgemacht zu haben, einen Mann und eine Frau, die sich benahmen, als seien sie ertappt worden. Nervöse Blicke, falsches Lachen, fahrige Bewegungen.
Daraus schloss Kristin erstens, dass es sich bei den Agenten um Anfänger handelte, zweitens, dass die drei keine Todesschläfer waren, und drittens, dass sich neuerdings ein Geheimdienst für sie interessierte, der in Weißrussland operierte.
Spontan änderte sie ihren Plan.
Der Abflug würde sich um wenige Minuten verzögern.
Die Boten des Todes
Vor alten Zeiten wanderte einmal ein Riese auf der großen Landstraße, da sprang ihm plötzlich ein unbekannter Mann entgegen und rief: »Halt! Keinen Schritt weiter!«
»Was«, sprach der Riese, »du Wicht, den ich zwischen den Fingern zerdrücken kann, du willst mir den Weg vertreten? Wer bist du, daß du so keck reden darfst?«
»Ich bin der
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