Oneiros: Tödlicher Fluch
erduldete.
»Darf ich ihn rausnehmen?«
»Sicher, mein Herr.«
Konstantin hob den Elfenbeinring aus dem Kistchen, drehte ihn und entdeckte auf der Innenseite eine kaum noch sichtbare Gravur, die man mit viel Vorstellungskraft als Totenschädel deuten konnte.
Sollte das möglich sein?
»Warum wurde er zurückgegeben?«
»Die Käufer behaupteten, sie hätten kein gutes Gefühl beim Tragen. Was natürlich Unsinn ist. Wir verkaufen nur Schmuck ohne Flüche.« Rabih grinste.
»Gibt es dafür auch ein Zertifikat?« Mit dem Daumen rieb er über den Stein, um den Schmutz zu entfernen. Die Grundfarbe war ein helles, wässriges Blau, durch das sich dunklere Adern schlängelten und verästelten.
Kein Opal. Schade.
Die Oberfläche wölbte sich leicht, der Stein wurde durch die Silbernelken wie in einen Schraubstock eingespannt.
»Gegen Flüche nicht. Da müssten Sie meinem Wort vertrauen.« Er zeigte auf den Ring. »Ich weiß nicht, woher wir ihn haben. Aber Monsieur Bouler müsste es wissen.« Seine Körpersprache brachte deutlich zum Ausdruck, dass es ihm am liebsten wäre, wenn Konstantin den Ring weglegte und sich einen anderen aussuchte.
Konstantin dachte gar nicht daran. »Was ist das für ein Stein?«
»Das?« Rabih sah unverhohlen enttäuscht darüber aus, dass er sich so sehr für den Ring interessierte. Mit anderen Worten: Der Ring war zu billig. Für den Geschmack des Händlers. »Das ist ein Harlekin-Opal, mein Herr. Ich denke, er ist eher nicht Ihr Fall, wenn Sie etwas Außergewöhnliches suchen.«
Zwei Vanitasmotive, ein Opal, die Markierung mit dem Totenkopf. Das kann ein Schnitterring sein!
Konstantin musste den Ring haben, egal, was er kostete. Er schluckte und wünschte sich ein Glas süßkräftigen Minztee gegen die trockene Kehle. »Wie viel?«
»Ich bin nahezu untröstlich, Ihnen diese Summe nennen zu müssen, die sicher eine Beleidigung für Sie darstellt, weil Sie Ihnen und Ihrem Stil nicht gerecht wird.« Rabih machte ein betrübtes Gesicht. »Nur zehntausend, mein Herr. Euro.« Er lächelte blitzartig. Konstantin verstand: Rabih war ein äußerst gewiefter Kaufmann, der einen Interessenten zuerst geschickt angelockt hatte und ihn nun fest im Würgegriff der Begehrlichkeit hielt.
Und ich bin darauf reingefallen.
Minsk, Weißrussland
Kristin betrachtete den schlummernden Clarence, der in dem Zimmer lag, in dem Patient 22 vor dem Zwischenfall untergebracht gewesen war.
Professor Smyrnikov stand neben ihr und betrachtete die ersten Untersuchungsergebnisse auf einem Pad, während er unaufhörlich nickte. »Ein sehr guter Proband, Frau von Windau. Blut- und Urinwerte sind bestens, das Nervenwasser ist sauber, keine verborgene Hirnhautentzündung. CT und Kernspin haben ergeben, dass der Mann …«
»Patient 23 .«
» … dass Patient 23 kerngesund ist. Er hat ein einwandfreies Gehirn und ist bereit für unsere Operationen.« Er klemmte sich den flachen Computer unter den Arm und sah sie abwartend an. Er wollte von ihr hören, was er anordnen sollte.
»Denken Sie, dass Doktor Tillman in der Lage ist, Willers’ Werk fortzuführen?«
»Er hat sich gut eingelebt, doch man merkt ihm an, dass er noch etwas unsicher ist.« Smyrnikov deutete auf Clarence. »Eingriffe, bei denen Menschen wie er eine gravierende Änderung erfahren, ohne dass eine Krankheit bekämpft wird, stehen nicht auf dem Programm der medizinischen Ausbildung. Er behauptet zwar, bereits Forschungen an Menschen vorgenommen zu haben, doch an unsere Art der Experimente muss er sich noch gewöhnen. Theorie und Praxis.«
»Und
wird
er sich daran gewöhnen?« Kristin hatte Tillman mehrmals getroffen, bevor sie ihn nach Minsk holte. Er hatte einen stabilen, ehrgeizigen Eindruck gemacht, jemand, der die Erfolge der Wissenschaft über das Wohl des Einzelnen stellte. Dachte sie. Aber auch McNamara war ein vielversprechender Kandidat gewesen, und ein solches Fiasko wollte sie nicht wiederholen.
Smyrnikov rieb sich über das Kinn. »Ich beobachte ihn genau. Wir sollten ein halbes Jahr abwarten und schauen, wie er sich bei den Operationen benimmt. Ach ja, wo wir beim Thema sind: Die neuen Unterlagen Ihrer Aspirantin aus Paris nehme ich mir gleich vor.« Er deutete auf Clarence. »Gehirnverpflanzung vorbereiten, Frau von Windau?«
Kristin sah auf den Schlafenden, den sie ins künstliche Koma gelegt und an ein EEG angeschlossen hatten, um die Hirnaktivitäten zu überwachen – und an einen Gehirnwellenstimulator, um ihn mittels elektrischer
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