Oneiros: Tödlicher Fluch
stur und machte ein unbeteiligtes Gesicht. »Mehr weiß ich nicht.«
»Die Initialen und die Durchwahl. Hm.« Der Pförtner musterte ihn. »Kann ich mal sehen, was in dem Umschlag ist?«
»Der Inhalt ist vertraulich. Diskretion sollte Ihnen in diesem Geschäft ein Begriff sein.«
Der Pförtner wechselte einen Blick mit seinem Kollegen, dann tippte er etwas in seinen Computer ein. »Laut Durchwahl meinen Sie Frau Herbst.«
»Richten Sie ihr bitte aus, dass ich hier bin.« Konstantin behielt sein verbindliches Lächeln bei, auch wenn er ungeduldig wurde.
Ich muss das beschleunigen.
»Wenn Sie mir Ihr Telefon geben, kann ich sie auf der Handynummer anrufen, die mir als Kontakt genannt wurde. Damit sollte Ihre Sorge beruhigt sein?«
Der Pförtner nickte und bugsierte den schnurlosen Hörer durch die Schiebevorrichtung in der Scheibe. Konstantin nahm ihn und tippte die Handynummer ein. Es dauerte nur wenige Sekunden, und eine Frauenstimme sagte: »Ja?«
»Guten Tag, Madame Herbst.« Er wandte sich ab, damit die Mikrofone seine Worte nicht übertrugen. »Monsieur Bouler schickt mich mit einer Lieferung.«
»Und Sie sind?« Erkennbares Misstrauen, aber auch Überraschung und Neugier schwangen bei Herbst mit.
»Hercule Mané. Ein privater Sicherheitskurier und Freund von Monsieur Bouler. Es ist gerade etwas brenzlig in Marokko, wie Sie verfolgt haben. Ich bin froh, Marrakesch noch rechtzeitig verlassen zu haben.« Konstantin betete, dass sie auf die Geschichte hereinfiel.
»Ja, davon hörte ich. Warten Sie, ich komme runter.«
Bloß nicht!
Das hatte er verhindern wollen. Hier draußen würde sie ihn sicher in ein paar Minuten abfertigen. »Madame Herbst, ich halte es nicht für sinnvoll, wenn ich den Inhalt meiner Lieferung in der Schleuse und vor den Kameras ausbreite.«
Herbst ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. »Von mir aus«, gab sie nach.
»Würden Sie dem Pförtner sagen, dass er mich …«
»Tue ich. Siebter Stock, Zimmer sieben-elf. Geben Sie den Hörer an den Portier zurück, ich sage ihm Bescheid.«
Er drehte sich zum Pförtner und legte das Telefon in die Schiebevorrichtung. Er sprach einen kurzen Moment mit Herbst, dann öffnete er mit einem Nicken zu Konstantin die Innentür. In dem schmalen Gang dahinter gab es zwei Aufzüge, mit dem linken fuhr Konstantin in den siebten Stock und suchte nach Herbsts Büro. Als eine Frau am Ende des Flurs aus einem Zimmer trat und ihn abwartend ansah, schien er fündig geworden zu sein.
Sandra Herbst – wie das Namensschild neben der Tür zeigte – war klein, leicht dicklich, und ihr blassgelber Hosenanzug passte überhaupt nicht zu den roten Schuhen und ihren schlecht gefärbten schwarzen Haaren mit der roten Strähne. Vom Alter her schätzte er sie auf Mitte fünfzig. »Sie sind Mané«, stellte sie mehr fest, als dass sie fragte.
»Oui, Madame Herbst.« Er schob sich an ihr vorbei in ihr nüchtern eingerichtetes Büro. Weder hingen Brillanten von der Decke noch Poster von Schmuck an den Wänden noch gab es irgendwo andere persönliche Gegenstände. Aktenschränke und Regale, Uhren mit diversen Zeiten darauf, ein Computer und eine große Telefonanlage. An der Börse wurde effizient gearbeitet, ohne Schnickschnack und Chichi.
Sie folgte ihm, ihre kleinen grünen Augen sahen immer noch verwundert aus. »Ich hoffe für Bouler, dass er einen guten Grund hat,
Sie
zu schicken, anstatt den üblichen Weg einzuhalten.«
Drin bin ich schon mal.
Konstantin wagte nicht zu fragen, wie ein Deal normalerweise zustande kam. »Tut mir leid, Madame.« Er reichte ihr den Umschlag. »Zur Ansicht. Monsieur Bouler bittet um Ihre Expertise.«
Sie nahm ihn in die Hand. »Zur Ansicht?«
Konstantin zeigte wieder sein Lächeln. »Monsieur Bouler bat darum.«
»Bouler wird immer seltsamer.« Herbst setzte sich, öffnete das Paket und schüttelte das Etui heraus. Sie nahm den Vanitas-Ring in die Hand, hielt den Schmuck unter die Lampe und begutachtete ihn ausgiebig mit Hilfe einer Lupe. Ihr Auge erschien durch das geschliffene Glas zyklopenhaft.
Sag endlich was!
Konstantin hielt es fast nicht mehr aus. »Möchten Sie mir mitteilen, was Sie davon halten und ob Sie den Ring gebrauchen können, Frau Herbst? Monsieur Bouler glaubt, dass er etwas Besonderes ist.«
Herbst drehte den Ring, ging mit dem Gesicht näher heran, dann wieder weiter weg, hielt ihn schräg, betrachtete die Innenseite mit dem Totenschädel, regelte die Helligkeit der Lampe hoch. Sie legte die Lupe weg, zerrte
Weitere Kostenlose Bücher