Oneiros: Tödlicher Fluch
einen kleinen Stift mit Kabel aus einer offenen Schublade, der sich als hochauflösende USB -Kamera herausstellte, und schoss Fotos.
»Was darf ich Monsieur Bouler ausrichten?«, fragte Konstantin erneut.
Sie ignorierte ihn und setzte ihre Untersuchung fort. Schließlich richtete sie die Augen auf ihn, öffnete den Mund, wie um zu sprechen, und wandte sich wieder ab. Sie schrieb etwas auf ihrem Computer, sah flüchtig auf den Bildschirm und hackte mit einer großen Geste auf ENTER .
War das gut für mich?
»Madame?«
Ihren Blick hielt sie auf Konstantin gerichtet. »Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie milchsüß.
Die Änderung in ihrem Ton, von brüsk zu nett, war unüberhörbar. »Mir wäre es lieber, wenn Sie sich erst zu dem Ring äußern würden.«
»Monsieur Mané, ich möchte mich für mein abweisendes Verhalten entschuldigen«, gab sie zurück. »Es war ein langer Tag, und es lief nicht gut für mich. Haben Sie von den Unruhen in der Elfenbeinküste gehört? Das macht unsere Kunden natürlich nervös. Und
wen
rufen sie an?«
»Ohne Zweifel Sie, Madame.« Konstantin räusperte sich. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber …«
Herbst hob die Hand. »Meine Kollegin ist gleich da.«
»Ihre Kollegin, Madame?« Unbehagen kroch seinen Rücken hoch. »Ich verstehe nicht.«
»Da geht es Ihnen wie mir.« Sie drehte den Bildschirm des Computers, so dass er ein Bild des Ringes betrachten konnte, der vor ihr lag.
Allerdings war es keine der eben gemachten Aufnahmen.
Der Bildschirm zeigte die eingescannten Seiten eines Prospekts oder eines Ausstellungskatalogs, der dem Stil nach aus dem 19 . Jahrhundert stammte.
Konstantin ahnte, dass er durch sein Auftauchen in der Edelstein- und Diamantbörse etwas Unvorhergesehenes in Gang gesetzt hatte.
Mit diesem Ring rechnete Herbst überhaupt nicht.
Es klopfte kurz, die Tür wurde geöffnet.
Herein kam das Gegenstück zu Herbst: groß, gut gebaut, in einem eleganten weißen Businesskostüm und mit langen kastanienfarbenen Haaren. Sie sah wesentlich jünger aus als Mitte fünfzig, und ihr Lächeln konnte ein Erschießungskommando daran hindern, den Abzug zu ziehen. Wäre Iva nicht in seinem Herzen und in seiner Seele verankert, Konstantin hätte sich auf der Stelle verliebt.
»Hallo, Monsieur Mané«, grüßte sie ihn und reichte ihm eine leicht nach Creme duftende Hand, ihr eigentliches Parfüm stieg ihm unmittelbar darauf in die Nase: leicht, hell und frisch, aber mit einer leichten dunklen Note, die der Mischung etwas Ungewöhnliches gab.
»Bonjour, Madame …?«
»Herbst«, antwortete sie freundlich. Der Blick aus den grauen Augen, die rötlich changierten, als könnten sich die Farben nicht entscheiden, war frei von Misstrauen; die hellgraue Brille verstärkte die Wirkung der Ungewöhnlichkeit. »Marna Herbst. Ich fürchte, Sie wollten eigentlich zu mir.«
Schwestern? Schwägerinnen?
Konstantin wusste für einen Moment nicht, was er sagen sollte. »Das …« Er sah zur kleinen, hässlichen Herbst-Ausgabe. »Ich bin verwirrt«, sagte er freiheraus.
Marna lachte gutmütig. »Monsieur Bouler versäumte es, Sie richtig zu instruieren. Meine Schwester ist zuständig für die …«
Sandra machte eine Geste, die ausdrückte: Es reicht. »Die Interna gehen ihn nichts an. Er ist ein Kurier.« Es war deutlich, wer das Sagen hatte. »Meine Schwester wird entscheiden, ob wir die Lieferung annehmen oder nicht.« Sie sah zu Marna und deutete mit der kleinen Stiftkamera auf den Ring. »Das ist dein Metier.«
Konstantin überlegte, wie weit er mit der Rolle des Boten noch kommen konnte. Sie würden es komisch finden, wenn er zu viele Fragen stellte, und ihm sicher nicht antworten.
Abwarten. Mal sehen, was sich ergibt.
Er versuchte unauffällig, den Scan des alten Prospekts auf dem Computerbildschirm zu lesen.
Die Frakturschrift war verwischt, das Papier hatte die Farbe nicht richtig aufgenommen. Aber ein paar Dinge konnte Konstantin entziffern. Es ging tatsächlich um eine Ausstellung. Der Veranstalter warb damit, dass nicht nur die wichtigsten indischen und australischen Diamanten und Edelsteine gezeigt würden, sondern auch Schmuckstücke, um die sich schaurige Geschichten rankten.
Gerade wollte Konstantin lesen, was es mit seinem Ring auf sich hatte, da drehte Sandra den Bildschirm wieder zu sich herum.
Marna ging an ihm vorbei, trat hinter ihre Schwester und las den Prospekt. Danach legte sie die Hand auf die Maus und klickte mehrmals. Ihr Blick war
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