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Oneiros: Tödlicher Fluch

Oneiros: Tödlicher Fluch

Titel: Oneiros: Tödlicher Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Halbhirnschlaf nennt. Er wurde zuerst bei Delphinen entdeckt. Die Wissenschaft vermutet, dass sie die Fertigkeit entwickelt haben, um nicht abzusaufen. Lungenatmer, Sie verstehen. Im Halbhirnschlaf versinkt, wie der Name schon sagt, nur eine Gehirnhälfte in Ruhe, die andere bleibt aktiv. Das hat den unschlagbaren Vorteil, dass dabei lediglich ein Auge geschlossen wird, so dass man weiterhin die Umgebung wahrnehmen kann.« Er deutete auf die Klappe vor seiner linken Augenhöhle. »Das ist für mich natürlich dumm gelaufen. Das Ganze ist ziemlich anstrengend, wenn man eins verloren hat.«
    »Und Sie haben spontan beschlossen, über die gleichen Fertigkeiten zu verfügen wie Delphine, Señor Thielke? Erklären Sie mir, wie das geht. Nehmen Sie an, ich würde einen Kursus bei Ihnen besuchen.«
    »Na ja, zuerst würde ich Ihnen sagen, dass Sie dabei sterben können. Danach knalle ich Sie mit Nikotin zu, bis Sie kurz vor einer Vergiftung stehen.«
    »Nikotin? Warum?«
    »Es gibt dem Hirn den nötigen Kick. Adrenalin, Dopamin und Serotonin werden dadurch ausgeschüttet, die psychomotorische Leistungsfähigkeit steigt, man kann sich besser konzentrieren, das Gedächtnis funktioniert ebenfalls besser. Da die Wirkung lediglich kurz anhält, muss man ständig Nikotin zu sich nehmen. Dann schieben wir einige Energy-Drinks nach, damit Sie richtig auf Touren kommen. Bis Sie denken, Ihnen explodiert das Herz«, zählte er feixend auf. »Überleben Sie das, experimentieren wir mit weiteren Pillen, die dabei helfen, das Schlafbedürfnis zu minimieren. Dann krönen wir diesen Cocktail mit starken Schlaftabletten. Ich schreibe Ihnen nachher auf, welche Medikamente ich benutze.«
    »Welche Wirkung hat diese Mischung?«
    »Sie werden hellwach sein und doch schlafen wollen. Sie spüren den Wahnsinn in sich und versuchen alles, um die widersprüchlichen Signale Ihres Geistes und Ihres Körpers in Einklang zu bringen – und entweder schnappen Sie über und sterben oder es macht
klick.
Übung, mehr ist es nicht, wenn man den nötigen Mut aufbringt oder verzweifelt genug ist, sich das alles anzutun. Man hat irgendwann raus, wie es geht. Ich brauche heute nur noch Nikotin im Blut und keine Pillen mehr. Klappt übrigens auch bei Schwertwalen, habe ich gelesen. Halbhirnschlaf. Ohne Nikotin. Wäre auch schwer, unter Wasser zu rauchen. Aber weiß man, welche Umweltverschmutzungen heute im Meer schwimmen, von denen die wiederum abhängig sind?« Er ging davon aus, dass Hoya es verstanden hatte. Sie war schlau genug. Und das wiederum machte es für ihn schwer, sie zu überlisten, um ihr zu entkommen.
    »Ich habe gestern noch etwas recherchiert und fand außer Meeressäugern noch weitere Tiere, die den Halbhirnschlaf beherrschen. Vögel zum Beispiel«, merkte sie an.
    »Ich sehe mich eher in der Tradition von Delphinen und weniger in der von Enten.« Thielke formte die nächste Blase mit dem Kaugummi vor seinem Mund.
    Carola nickte bloß. »Eine Sache noch. Sie erwähnten, dass jeder Todesschläfer einen anderen Wirkungsradius hat. Könnten Sie das noch etwas weiter ausführen?«
    »Sicher. Mal wütet der Schnitter nur in einem geschlossenen Raum, egal mit welchen Abmessungen, egal ob Petersdom oder Besenkammer. Mal ist der Bereich sphärenförmig, ohne von Mauern aufgehalten zu werden.«
    »Und bei Ihnen?«
    »Das ist schon so lange her, dass ich es gar nicht mehr weiß.«
    »Ah, sollten Sie mich anlügen, Señor Thielke?«, rügte sie ihn gespielt vorwurfsvoll. »Ich setze Ihr Insulin ab, wenn Sie nicht folgsam sind.«
    Das brachte ihn in eine heikle Lage. Verriet er ihr sein Geheimnis, hätte sie ihn so gut wie in der Hand. »Ich bin fast harmlos. Es ist nicht sonderlich weit und hängt ohnehin von unterschiedlichen Faktoren ab, so dass sich die Entfernung schlecht beziffern lässt.«
    Carola sah ihn geduldig an, faltete die Hände vor einem Knie und legte es über das andere. Das hieß: Ich kann warten.
    »Schallweite in Sekunden«, sagte er mit einem Seufzen.
    »Schallweite? Sie werden nicht Ihr Schnarchen meinen?«
    »Nein. Ich meine damit ungefähr dreihundert Meter. Da ich nicht mehr im klassischen Sinn schlafe, ist die Distanz gleich geblieben. Stellen Sie sich vor, dass ich im Schlaf ein für Menschen unhörbares Signal ausstoße, mit ungefähr neunzig bis hundert Dezibel. Befinde ich mich in einem Raum wie hier, schlucken die Wände den Ton. Aber auf einer freien Fläche, zum Beispiel einem Berg, bin ich als Todesschläfer ziemlich

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