Oneiros: Tödlicher Fluch
Jester ging auf und ab, während er sprach, dem Geräusch seiner Schritte nach lief er durch einen hohen Raum, dessen Boden aus Stein bestand. Seine Stimme hallte leicht, im Hintergrund war es still.
Konstantin kämpfte gegen den Kater und die Panik an und versuchte, klare Gedanken zu fassen. »Lass Iva in Ruhe«, sagte er uninspiriert, weil ihm nichts Besseres einfiel und es der Wahrheit entsprach.
»Warum sollte ich? Ich bin keiner von den Guten, Konstantin. Ich will meinen Narkoleptiker zurück, und du wirst ihn herbringen.«
»Er hat seine Gabe nicht mehr.«
»Bring ihn her. Ich möchte es selbst sehen.«
»Ob ich das verantworten kann?«
»Ob Iva das auch so sieht? Oder Professorin Sastre?«, erwiderte Jester fröhlich. »Sie werden als Erste sterben, alter Knabe. Ich töte munter weiter, bis du mir meinen Narkoleptiker lieferst. Ich habe ihn gefunden, ich habe ihn gerettet, ich habe ihn ausgebildet. Er gehört mir!«
»Du hast vor, ihn zu deinem Werkzeug zu machen. Bent ist dir als Mensch scheißegal«, rief Konstantin und erhob sich, ging ins Bad und trank hastig einen Schluck Wasser, benetzte sich das Gesicht. Die Kälte vertrieb die Wirkung des Alkohols. »Was willst du mit ihm?«
Jester blieb stehen. »Er ist einmalig. Es hat noch nie einen Todesschläfer mit Narkolepsie gegeben. Ich brauche ihn, um meine Ziele durchzusetzen.«
»Und welche sind das?«
»Warum willst du das wissen? Du würdest ohnehin nicht mitmachen. Dafür kenne ich dich zu gut, alter Knabe.« Jester klang bedauernd.
Marna erschien in der Tür, nackt und mit besorgtem Gesicht. Sie sah phantastisch aus, woran auch die kleine Narbe auf dem Unterbauch nichts änderte. Sie war Konstantin gestern nicht aufgefallen. »Ärger?«, fragte sie tonlos.
Konstantin nickte.
Jester ging wieder ein paar Schritte. »Ladys, sagen Sie Herrn Korff doch guten Tag, damit er weiß, dass ich Sie als meine Gäste beherberge.« Zwei Frauen riefen durcheinander. Konstantin erkannte die Stimmen von Iva und Sastre. »Ich könnte das Hotel stürmen lassen, in dem du gerade bist, aber das wäre zu viel Aufwand, wo es doch wesentlich einfacher geht. Also, hier ist der Deal: Du bringst mir Arctander, ich gebe dir deinen Schatz und Sastre. Lebend. Ich habe mich übrigens ein wenig mit der Ärztin unterhalten. Du weißt, wie viel die Ärztin wert ist. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich begrüße das. Sie hat eine einzigartige Gabe, und ich würde sie nur ungern töten. Warum sollte man einen Todesschläfer auch daran hindern, für den Schnitter sichtbar zu werden, wenn er es möchte?« Er lachte abfällig. »Sollen sich doch alle schwächen. Ich dagegen
mag
meine Besonderheit und nutze sie gern. Zum Wohle der Allgemeinheit.«
»Und dass Arctander normal sein möchte, zählt nicht, ja?«
»Wir müssen alle Opfer für die Allgemeinheit bringen. Ich habe ihn trainiert und zu der Waffe gemacht, die ich brauche, um Regierungen dazu zu bringen, das Beste für ihr Volk und nicht das Beste für die Firmen zu tun, mit denen sie Verträge abgeschlossen haben. Kein Staat der Welt wird es wagen, gegen seine Bewohner zu handeln, wenn die Mächtigen wissen, dass die Hand von Oneiros sie überall erreicht.« Jester klang begeistert von seiner eigenen Idee. »Arctander ist das Beste, was ich je erschaffen habe. Für die Menschheit. Siehst du das nicht ein?«
»Und wie oft möchtest du demonstrieren, wie stark Oneiros ist? Wie viele Tote reichen aus?«
»Die ungewollten Demonstrationen in Paris, Marrakesch und Madrid genügen, schätze ich. Demnächst verschicke ich ein paar freundliche Briefe an die Regierungen der Erde, und dann wird sich zeigen, ob sie verstanden haben.« Er lachte wieder. »Ach ja, und Geld lasse ich mir natürlich auch überweisen. Ich muss schließlich meine Forschungen finanzieren. Bei Gelegenheit stelle ich dir von Windau in Ruhe vor. Sie und ihre Wissenschaftler arbeiten an faszinierenden Dingen, welche die Zukunft der Menschheit ebenso revolutionieren könnten wie mein Projekt. Derzeit tüftle ich daran, wie sich Synergieeffekte erreichen lassen. Nun, sie weiß noch nichts von der Partnerschaft, die ich anstrebe, und wird auch nicht begeistert sein. Aber ich kann mit Argumenten und Drohungen sehr überzeugend sein.«
Er ist verrückt.
Konstantin versuchte erst gar nicht zu ergründen, ob ihn Jester anlog oder nicht. Sein Verhalten war blanker Unsinn. Sollte Jester eines Tages beschließen, dass ihn irgendein Staatsoberhaupt beleidigt
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