Oneiros: Tödlicher Fluch
und Gästen, für die Geld in der Regel keine Rolle spielte.
Der Luxus zog sich durch das ganze Haus. In seiner Suite hätte man sich wahlweise verlaufen oder ein Basketballspiel austragen können. Überall roch es gut, nirgends entdeckte er Schmutz oder Staub, nicht mal im hintersten Winkel der Schränke. Bei aller Freude über die Unterbringung empfand Konstantin es auch ein Stück weit als unanständig, dass sein Auftraggeber so viel Geld für ein Zimmer bezahlte. Für eine Nacht.
Aber mit Frühstück.
Konstantin überflog die nächste Seite der Zeitung schnell, bevor er umblätterte und die zahlreichen Fotos mit Rettungswagen und Helfern, Flammen und qualmenden Ruinen verschwanden.
Er hatte es nicht vermeiden können, doch nähere Informationen zum Unglück auf dem Flughafen Paris-Charles de Gaulle zu bekommen. Die
Le Monde
brachte wie alle französischen Zeitungen Sonderseiten zu dem Vorfall, über den heftig spekuliert wurde. Die Behörden hüllten sich in Schweigen und verwiesen auf die laufenden Ermittlungen. Aber es sprach Bände, dass die höchste Terrorwarnstufe verhängt worden war.
Ein Anschlag. Was soll es sonst gewesen sein?
Konstantin legte die Zeitung zur Seite und schaute zum Eingang, während seine Gedanken um den Anschlag kreisten.
Auch über Lilou und ihre Familie wurde in den meisten Medien berichtet. Wie tragisch das alles sei, wie schön die junge Frau gewesen sei, wie viele Pläne sie als Model gehabt habe, wie engagiert sie sich für Hilfsprojekte gezeigt hatte und wie sie ihren kaltherzigen Vater zu einem guten Menschen gemacht habe.
Inzwischen hatte Konstantin sehr viele Aufnahmen von ihr gesehen und musste den Journalisten recht geben: Lilou de Girardin war in jedem Alter eine Schönheit gewesen.
Der Zeitpunkt für die Trauerfeier stand inzwischen fest, wie er ebenfalls aus der Zeitung erfahren hatte: in zwei Wochen, und zwar nicht in irgendeiner Kirche, sondern in einer Kathedrale.
Der
Kathedrale.
In Notre-Dame. In aller Öffentlichkeit, mit zahllosen Fotografen, die ein Bild der Toten machen würden.
Von der unvergleichlichen Lilou.
Es wurde in der Presse angenommen, dass sämtliche fünf Glocken von Notre-Dame erklingen würden. Auch die Glocke namens Emmanuel, die nur zu den höchsten Festtagen und zu besonderen Anlässen geläutet wurde. Zehntausend Menschen passten in die riesige Kathedrale, und es konnte sein, dass es eng werden würde.
Die Last der Verantwortung auf seinen Schultern war spürbar größer geworden, seit er das wusste. Inzwischen musste er einräumen, dass er eine gewisse Nervosität spürte, die sich erst legen würde, wenn er die Tote sah.
Vierundzwanzig Stunden, wenn es gut läuft. Mehr habe ich nicht, um gute Arbeit abzuliefern.
Ein südländisch anmutender Mann in einem dunkelgrünen, dezenten Anzug kam herein und sah sich suchend um. Während er den Kopf drehte, wippte das Ende seines kurzen Pferdeschwanzes nicht einmal andeutungsweise, als wären die schwarzen Haare gestärkt. Sein Blick fiel auf Konstantin. Er lächelte knapp, hob den Arm und gab ein dezentes Zeichen, dass er ihm folgen sollte. Ohne sich noch einmal umzusehen, verließ er die Lobby des
Vendôme.
War das Monsieur Caràra?
Konstantin wunderte sich über den Auftritt. Durch die Glasfront verfolgte er, wie der Mann in das mittlere von fünf Taxis stieg, die vor dem Hotel standen. Konstantin erinnerte sich, dass der Sekretär vom hohen Interesse der Medien gesprochen hatte.
Aha. Ein Täuschungsmanöver.
Er stand auf, setzte die Sonnenbrille auf, nahm seinen Koffer und trat auf die Straße. Als er Caràras Taxi erreichte, beugte er sich zum geöffneten Fenster hinunter. Er hatte bemerkt, dass in den anderen Wagen jeweils zwei Männer auf der Rückbank saßen. »Verzeihen Sie, aber Sie sind Monsieur Caràra?«, fragte er auf Französisch.
»Ja. Steigen Sie bitte ein, Monsieur Korff. Ich erkläre Ihnen unterwegs alles.« Er öffnete ihm die Tür.
Konstantin begab sich auf den Platz hinter dem Beifahrersitz. »Ich nehme an, es geht darum, der Journaille zu entkommen und den Ort geheim zu halten, an dem Demoiselle Lilou aufbewahrt wird?«
Kaum saß er, fuhren die Taxis eines nach dem anderen los, bildeten eine Kolonne, in der sie durch gewagte Überholmanöver ständig die Position wechselten.
»So ist es, Monsieur.« Caràra hielt ihm die Hand hin. »Willkommen in Paris.«
Konstantin schlug ein. »Danke.« Dann sah er aus dem Heckfenster. Wenn er sich nicht täuschte, wurden
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