Oneiros: Tödlicher Fluch
tat.
Sophie ging in die Hocke, damit sie sich auf Augenhöhe befanden. »Ich weiß, dass man einem Mann, der mit Toten hantiert, keine Angst machen kann, Herr Korff, aber sollten Sie nicht mit mir kommen, wird es weitreichende Konsequenzen haben«, sagte sie mit einem verbindlichen Lächeln, das die Drohung merkwürdigerweise verstärkte.
Der Argwohn bemächtigte sich seiner. Konstantin hielt inne und sah in ihre dunkelbraunen Augen.
Gehört sie zu dem Lodenrocker?
»Sie haben keinen toten Bruder. Was wollen Sie wirklich von mir?«
Das Lächeln verschwand, ihre Gesichtszüge wurden hart. »Dass Sie mich begleiten.«
»Wohin und warum?«
Als Antwort zog sie einen Taser aus ihrer Handtasche. Grell knisterte der Strom, der zwischen den Elektroden bläulich aufblitzte.
Konstantin ließ den Handlauf los und sprang rückwärts auf sein Beiboot. Er landete hart, schrie auf, weil er dachte, sein durchschossener Oberschenkel würde explodieren, und fiel nach hinten auf die Planken.
Der Länge nach lag er im schaukelnden Kahn, sah hinauf zum Kai.
Sophie sprang ihm nach. Im Flug zog sie die Nadel elegant aus dem Haar und stieß noch während der Landung zu, durchbohrte Konstantins rechten Handballen; die geschliffene Spitze trat auf der anderen Seite wieder aus.
Er hatte keine Chance, der Attacke zu entgehen, schon gar nicht auf dem Rücken liegend. Der Schmerz in seiner Hand gesellte sich zu dem im Bein und überlagerte ihn gar.
Das Boot schaukelte unter den heftigen Bewegungen.
Schon zuckte der E-Schocker heran.
Konstantin wehrte ihren Angriff ab, versetzte Sophie einen Tritt mit dem gesunden Bein, der sie nach hinten trieb. Hastig griff er an den Außenbordmotor, schaltete ihn an und gab Gas. Röhrend beschleunigte der Motor, die Schraube wirbelte das Wasser am Heck auf.
Sophie wurde von der heftigen Bewegung überrascht und verlor das Gleichgewicht, das Boot schnellte unter ihr davon. Sie stürzte ins Wasser.
»Ist Leipzig denn plötzlich voller Bekloppter?«, murmelte Konstantin. Er stemmte sich in die Höhe und reduzierte das Gas.
Er tuckerte den Seitenarm entlang, sah nach rechts und links zum Ufer, ob sie nochmals auftauchte.
Doch Sophie, sofern es ihr wahrer Name war, blieb verschwunden.
Er presste die verletzte Hand fest zwischen die Knie, um die Blutung zu stoppen.
Prima. Noch ein Loch.
Konstantin hoffte, dass sie kein Haarfärbemittel benutzte oder irgendeine Verschmutzung an der Nadel gehaftet hatte, die zu einer Entzündung führte.
Ich fahre nicht schon wieder ins Krankenhaus. Wodka wird zur Desinfektion ausreichen.
Er drehte den Motor auf, und das Beiboot schoss in den Kanal in Richtung Cospudener See. Der laue Sommerabendwind wehte ihm um die Nase. Das grelle Scheinwerferlicht am Bug warnte ihn rechtzeitig vor Treibgut auf dem Wasser, dem er auswich, ohne die Geschwindigkeit zu verringern.
Er passierte die Schleuse, erreichte den Cospudener See und sauste quer darüber, um zu seinem schwimmenden Zuhause zu gelangen.
Was wollte sie von mir?
Ihr Angriff mit dem Taser zeigte ihm, dass sie ihn betäuben und mitnehmen wollte. Im Auftrag des Typen mit dem LeMat?
Verdammt.
Zwei Jahre lang hatte er ein beschauliches Leben geführt, sich eine Existenz aufgebaut, und von einem Tag auf den anderen zog er plötzlich gefährliche Idioten an.
Vielleicht kann Jester mir zu ihr was sagen.
Als er umständlich an Bord der
Vanitas
kletterte, spürte Konstantin, wie hundemüde er war. Eigentlich gehörte er ins Bett, um seine Wunden zu schonen. Doch die Nachforschungen warteten auf ihn.
Schnell goss er sich Wodka über die Hand, spülte den Durchstich damit und stöhnte dumpf, als die Schmerzen aufflammten. Dann trank er zwei zuckerfreie Energiedrinks, nahm zwei Guaranatabletten und kochte sich rasch einen mörderischen Espresso, damit er wach und bei klarem Verstand blieb.
Nach einem Klamottenwechsel setzte er sich an seinen Laptop. Im Posteingangsfach leuchtete eine dringende Nachricht von Monsieur Caràra auf. Konstantin wurde nach Paris gebeten.
Leipzig, Deutschland
Die Tätowierung am Handgelenk ist neu. Gehen dir schon die Stellen aus, oder warum hast du es an einer so sichtbaren Position machen lassen?
Martin Thielke schoss durch das starke Teleobjektiv mehrere Aufnahmen von der dunkelhaarigen Frau im Flughafengebäude, die sich Korff gestern als Sophie Kronau vorgestellt hatte. Zweihundert Meter Luftlinie und die Glasfront des Flughafeneingangs trennten sie.
Ich müsste dich mal wieder nackt vor
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