Oneiros: Tödlicher Fluch
die Linse bekommen, um meine Ablage abzugleichen.
Er verbarg sich auf dem Parkplatz zwischen zwei Kleintransportern und fotografierte aus dem Hinterhalt. Es wäre nicht gut, wenn von Windau ihn zu Gesicht bekäme. Noch wusste sie nichts von ihm. Er von ihr schon. Taktischen Vorteil nannte man so etwas.
Thielke spuckte den alten Cola-Kaugummi aus und nestelte mit einer Hand in der Tasche herum, bis er einen neuen aus der Packung herausgefummelt hatte. Dazu rauchte er eine filterlose Kippe, Importware mit Nikotinwerten, die in Deutschland nicht erlaubt waren, aber er brauchte das Zeug genauso dringend wie sein Insulin. Thielke kannte sich mit Abhängigkeiten aus.
»Was wolltest du von Korff?«, brummte er als Frage an Windau, die Zigarette wippte zwischen den Lippen, Asche rieselte auf den schwarzgrauen Asphalt. Das Gehäuse der Nikon war teilweise mit Gilb überzogen und stank nach kaltem Rauch, als würde er sie als Aschenbecher benutzen. »Oder vielmehr, was wolltest du
mit
Korff?«
Die Frau war für ihn ein Rätsel. Sie reiste unglaublich viel, und zwar in Länder, für die er Wochen im Voraus ein Visum beantragen musste, um hineingelassen zu werden. Deswegen hängte sie ihn regelmäßig ab und tauchte anschließend an Orten auf, an denen er sie nicht vermutete. Wie in Leipzig.
Thielke hatte es nicht leidgetan, auf den Thanatologen zu schießen, schließlich hatte der Typ es mit seinem Angriffsversuch herausgefordert. In ihm war die Neugier gestiegen, was Korff als Nächstes tat, daher war er an dem Mann drangeblieben. Und da erschien mir nichts, dir nichts von Windau, erzählte Unsinn und versuchte als Krönung ihrer kleinen Show, Korff einen Elektroschock zu verpassen.
Dass sie ihn nicht umbringen wollte, war klar.
Sie hat noch was mit ihm vor.
Thielke sah einen Mann auf die Baronesse zukommen, den sie anstrahlte und herzlich begrüßte.
Kein Vergleich zum Zusammentreffen mit Korff.
Er zoomte das Gesicht des hageren Mannes groß und schoss Bilder von ihm: Front, Seite, rechts, links, Augenfarbe.
Die Aufnahmen würde er am Abend hochladen, ein kleines Programm starten und sämtliche zugängliche Datenbanken, Facebook, Google und den Rest des Internets durchstöbern lassen. Damit ließen sich recht gute Ergebnisse erzielen. Wie mühselig die Recherche damals noch gewesen war, vor der Computerwelt und des weltweiten Netzes.
Wegen seines LeMat-Revolvers wagte er sich nicht ins Flughafengebäude, auch wenn die Sicherheitskontrollen in Leipzig nicht unbedingt als besonders scharf bezeichnet werden konnten. Thielke wollte keine Überraschung erleben. Entdeckte man seine Waffe, wäre ihm eine Verhaftung sicher, und wenn die Ballistiker Untersuchungen damit anstellten, wäre er erledigt.
Deswegen konnte er nicht nah genug an die beiden heran, um ihr Gespräch zu verfolgen, und musste sich aufs Lippenlesen verlassen. Da ständig andere Menschen durchs Bild eilten, wurden die englischen Sätze und Worte unvollständig.
Das Wort
Minz
fiel ein paar Mal, was auch immer das bedeuten mochte. Aber er verstand, dass sich der Mann auf seine Aufgabe freute, dass er sein ganzes Leben auf diese Gelegenheit gewartet habe. Windau erwiderte etwas von guter Bezahlung, herausragenden Ergebnissen und Forschung auf Spitzenniveau.
Thielke war sich nicht ganz schlüssig, was er da eigentlich vor seinem Tele sah.
Entweder er ist ein Todesschläfer und sie lockt ihn in die Falle, die für Korff bestimmt war, oder sie braucht ihn für echte Forschung.
Er machte noch ein paar Fotos. Für die Ablage.
Der Mann hatte einen Gepäckwagen hinter sich stehen, auf dem sich ein halbes Dutzend Koffer stapelten. An einem baumelte ein Namensschildchen herab, so dass Thielke es lesen und fotografieren konnte: Tillman, G., Tankstreet 3723 , Wisconsin, USA .
Tillman und Windau drehten sich zur Anzeigetafel, auf der die Flüge aufleuchteten, dann schüttelten sie sich die Hände, und die Frau verließ den Mann wieder. Ihr brauner Schopf verschwand im Gewühl der Menschen.
Thielke senkte die Nikon und kehrte zu seinem Transporter zurück, einem alten Bedford Blitz in verblasstem Gelb, den noch die Überreste von verschiedenen Werbebeschriftungen zierten, die einmal Eis, Gemüse und Backwaren angepriesen hatten. Er war der achte Besitzer, der zweite Motor steckte unter der Haube und stand bei knappen 139 000 Kilometern. So wie Korff auf einem Hausboot lebte, so verbrachte Thielke die meiste Zeit seines Lebens in diesem Bedford.
Er öffnete die
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