Onkel Horatios 1000 Sünden
Rufe wie «Ich gehe zu unserem Rechtsanwalt!» und «Ganz richtig!»
«Durch die Küche», keuchte Teddy.
«Verschwinden wir zu einem belebenden Whisky-Soda in die stillen Gemächer meines Clubs. Es ist auf jeden Fall besser, die Hintertür zu wählen, habe ich den Eindruck. Zufällig habe ich vom Fenster aus den Mann von der Rolls-Royce-Vertretung gesehen, der in ein Gespräch mit unserem Chauffeur verwickelt war.»
14
Im Trafalgar Club herrschte an dem warmen Maiennachmittag eine gruftähnliche Stille. Lord Brickwood ließ sich in einen der überdimensionalen Fauteuils sinken und sagte: «Wie entsetzlich ermüdend heute doch alle Menschen sind! Teddy, sei ein guter Junge und läute nach dem Kellner.»
«Onkel», begann Teddy, der dem Wunsch seines Onkels zwar nachkam, sich aber doch ziemlich beleidigt fühlte, «ich denke, du schuldest mir eine Erklärung.»
«Eine Erklärung, mein Guter? Aber worüber denn?»
«Über das Märchen, das du der Frau mit dem komischen Hut aufgetischt hast.»
«Teddy, du kannst doch wirklich nicht von mir erwarten, daß ich mich in Einzelheiten ergehe, ehe ich etwas getrunken habe. Ich kann dir aber schon jetzt versichern, daß meine Motive die allerbesten waren. Whisky und Soda», bestellte er bei dem rheumatischen Kellner. «Ach Gott, ich muß meine Brieftasche vergessen haben. Hast du etwas Kleingeld bei dir, Teddy? Vielleicht könntest du mir auch gleich drei oder vier von jenen Fünf-Pfund-Noten leihen», setzte er hinzu, als Teddy den Rest jener fünfzig Pfund hervorzog, die ihm sein Vater als Spesengeld hinterlassen hatte. «Vielen Dank, mein Lieber. Erinnere mich daran, ja?»
Lord Brickwood lehnte sich zurück. Er schien jeder Unterhaltung abgeneigt zu sein. Teddy griff nach dem Magazin The Field und las es gewissenhaft vom Anfang bis zum Ende durch. Er zerbrach sich den Kopf, wie er seinem Onkel begreiflich machen sollte, daß er es für reichlich schäbig hielt, ihn in aller Öffentlichkeit zu beschuldigen, einem Mädchen nachgestellt zu haben, das er nicht einmal mit dem Ende eines sterilisierten Bootshakens angerührt hätte, als Onkel Horatio unvermittelt sein Glas leerte, sich erhob und ihm mitteilte, daß er einige wichtige Briefe zu schreiben hätte. Damit begab er sich an den Schreibtisch in der Ecke und nahm dort Platz.
Der Trafalgar Club setzte seinen Stolz darein, seine Mitglieder mit allem zu versorgen, was sie für ihre Korrespondenz brauchen mochten. Es gab sechs verschiedene Formate und Farben von Clubbriefpapier, Briefkarten, Postkarten, Luftpostpapier, Telegrammformulare und schwarzgeränderte Blätter für den Eventualfall. In einer Rinne lag ein halbes Dutzend Federhalter bereit, falls jemand seinen Füller vergessen hatte. Hinter dem in vier Farbschattierungen gehaltenen Löschpapier stand ein glitzerndes Tintenfaß, das von Büroklammern, kleinen grünen Schildchen, scharfen Lochapparaten, Federwischern, Radiergummis, Reißnägeln, winzigen Schwämmchen, Siegelwachs, Bleistiftspitzern, einer Galerie von Papiermessern und einigen recht ansehnlichen Linealen umgeben war.
Keines dieser Hilfsmittel schien Lord Brickwood zu inspirieren. Er saß einfach da und malte kleine Männchen auf das Löschpapier. Er schrieb ein paar Worte, dann warf er das Geschriebene in einen der Papierkörbe. Er griff nach einem Gummiband und vergnügte sich daran mit einem Abnehmespiel, hob ein Papiermesser auf und trommelte damit gegen seine Zähne. Teddy studierte inzwischen die Magazine Sphere, Country Life und die Illustrated News, und nachdem er vergeblich versucht hatte, sich in The Statesman’s Yearbook zu vertiefen, stand er auf und starrte müßig aus dem Fenster.
Die Verkehrswoge der Ladenschlußstunde begann durch Pall Mall zu ebben, und Teddy beobachtete die Vorübereilenden, während sich seine Gedanken schwerfällig um die undurchsichtige Geschichte seines Onkels Horatio drehten. Selbst in unserem aufgeklärten Zeitalter versetzt es einem jungen Mann keinen geringen Schock, wenn er entdecken muß, daß ein naher Verwandter gesessen hat. Sein Onkel, so überlegte Teddy, war jedoch zweifellos das Opfer jener politischen Schurkereien geworden, die sie so scharf in der Schlachtbank zu geißeln pflegten. Und schließlich mußten sich die Neffen John Hampdens, des Grafen von Monte Christo und aller sieben Bischöfe im Tower in der gleichen Lage befunden haben. Es war längst Gras über die Geschichte gewachsen, entschied er, und nun, da sich sein Onkel
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