Onkel Robinson
hatten, setzten Mr. Clifton, Marc und Robert ihren Aufstieg fort. Da die perspektivische Verkürzung in den Bergen besonders ausgeprägt ist, nahmen sie die Mutter und ihre Kinder bald nur noch wie kaum erkennbare schwarze Pünktchen wahr.
Ihr Weg war nicht leicht. Die Abhänge wurden immer steiler, die Füße rutschten auf dem Lavaboden aus, und doch kamen sie dem Hochplateau verhältnismäßig rasch näher. Auf eine Besteigung des Vulkangipfels selbst würden sie wohl verzichten müssen, falls der Neigungswinkel auf der östlichen Seite ebenso stumpf war wie im Westen.
Nach einer Stunde sehr mühsamen und aufgrund des abrutschenden Gerölls auch gefährlichen Marschierens kamen der Onkel, der Vater und die beiden Jungen am Fuße des eigentlichen Gipfels an. Sie befanden sich nun auf einem teilweise engen, aber gut begehbaren Plateau. Es lag neunhundert bis tausend Fuß über dem Meeresspiegel und stieg in einer Biegung allmählich in Richtung Norden an. Der Gipfel ragte noch einmal sieben-bis achthundert Meter darüber hinaus, und die große Schneehaube glänzte im Sonnenlicht.
So müde die Bergsteiger auch waren, gönnten sie sich doch keinen Augenblick Ruhe. Sie wollten so schnell wie möglich auf die andere Seite des Berges gelangen. Immer weiter vergrößerte sich ihr Ausblick in Richtung Norden; der Höhenzug, der das Ostende der nördlichen Bucht bildete, schien sich abzusenken.
Nach einer Stunde Fußmarsch war die Nordseite des Gipfels erreicht. Kein Land erstreckte sich in dieser Richtung. Doch der Vater, der Onkel und die Jungen gingen weiter; beklommen, wie sie alle waren, sprachen sie nur wenig. Die beiden unermüdlichen Jungen Marc und Robert gingen voraus. Gegen elf Uhr las Clifton am Sonnenstand ab, daß sie endlich auf der anderen Seite angelangt waren.
Vor den Augen der Reisenden dehnte sich bis zum Horizont die Unendlichkeit des Meeres aus. Schweigend blickten sie auf den Ozean hinab, der sie gefangenhielt. Jegliche Verbindung zu ihren Mitmenschen war ihnen versagt, und es war keine Hilfe zu erwarten. Sie saßen völlig allein auf einer einsamen Insel im Pazifik.
Nach Schätzungen des Ingenieurs mochte das Eiland einen Umfang von zwanzig bis zweiundzwanzig Meilen haben und damit größer als Elba und doppelt so groß wie Sankt Helena sein. Clifton verstand nicht, wie auf einer so kleinen Insel die großen Tiere leben konnten, auf deren Spuren er gestoßen war. So manches ließ sich aber dadurch erklären, daß die Insel vulkanischen Ursprungs war. Konnte die Insel nicht früher größer gewesen und ein erheblicher Teil davon eines Tages von den Fluten verschlungen worden sein? Vielleicht gehörte sie ja damals zu einem Stück Festland, das nun weit entfernt war. Clifton nahm sich vor, diese Annahmen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, wenn er einmal ganz um die Insel herumfahren würde. Die beiden Jungen hatten angesichts dieses unermeßlichen Ozeans den Ernst der Lage begriffen und schwiegen.
Sie wollten ihrem Vater keine Fragen stellen. Dieser gab das Zeichen zum Aufbruch. Der Abstieg ging schnell vor sich. In weniger als einer halben Stunde waren sie wieder bei der nachdenklich dasitzenden Mrs. Clifton angelangt. Sobald diese ihren Mann und ihre Kinder erblickte, stand sie auf und ging ihnen entgegen.
»Nun?« fragte sie.
»Eine Insel«, antwortete der Ingenieur.
»Der Wille des Herrn geschehe«, sagte die Mutter leise.
Kapitel 21
Während der Abwesenheit der vier Bergsteiger hatte Mrs. Clifton aus den Resten des Wildbrets vom Vortag eine Mahlzeit zusammengestellt. Um halb ein Uhr begann die ganze Familie die Berghänge wieder hinabzusteigen. Sie durchquerten in gerader Linie die Baumzone und erreichten den Fluß an seinem oberen Lauf, daß heißt oberhalb des Wasserfalls. Der Fluß war hier eine richtige Stromschnelle und schäumte über die schwärzlichen Felsbrocken hinweg. Es war eine gänzlich urwüchsige Gegend. Die Reisenden kämpften sich durch ein Gewirr von Bäumen, Sträuchern und Lianen, bis sie wieder am Boot anlangten. Sie packten die Vorräte, Pflanzen und die während der Expedition gesammelten Dinge ins Boot und fuhren dann schnell den Fluß hinab. Um drei Uhr waren sie an der Stelle, an der der Fluß in den See mündete. Sie setzten das Segel und fuhren eine Weile hart am Wind, bis sie beim unteren Flußlauf ankamen. Um sechs Uhr abends waren sie zurück in der Grotte. Der Onkel stieß sogleich einen Ausruf aus. Die Palisade war eindeutig beschädigt worden.
Weitere Kostenlose Bücher