Onkel Schwein (German Edition)
Dieser Waldén hatte wirklich vor überhaupt nichts halt gemacht. Obwohl sich Teever fragte, ob der Missbrauch eines behinderten Kindes moralisch verwerflicher war als der eines normalen Kindes. Sagte man überhaupt normal? Beide waren wehrlos, aber dennoch überkam ihn bei der Vorstellung, dass Waldén auch vor mongoloiden Kindern nicht halt gemacht hatte, eine noch größere Abscheu. Er überlegte, was wohl die Eltern dieser Kinder dächten, wenn sie von dem Missbrauch erfahren würden. Wen kannte er eigentlich, der ein behindertes Kind hatte? Ihm fiel nur der Sohn seiner Nachbarn ein. Lukas hieß er. Den ganzen Tag lief er auf dem Hof herum und zog einen kleinen Leiterwagen hinter sich her. Er sagte nie etwas, guckte jeden freundlich und interessiert an und trollte sich dann seiner Wege, gefangen in seiner eigenen Welt. Oder aber frei und ohne Probleme, fügte Teever seinen Gedanken seufzend hinzu.
Und plötzlich wusste er, wer das kleine Mädchen war. Ida. Die Uhr am Handgelenk des Mannes, der seine Hand auf den Schambereich des Mädchens hielt, kannte er sowieso.
Eines war Teever nach seiner Entdeckung klar. Die Anzahl potenzieller Täter hatte sich gerade vervielfacht. Jeder Vater, jede Mutter oder jedes mittlerweile älter gewordene Kind hatte einen Grund, Waldén zu hassen und ihm den Tod zu wünschen. Und es würde schwer werden, bei der Suche nach dem Täter vonseiten der Opfer Hilfe zu erwarten. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Sogar er selbst hatte ja gedacht: geschieht dem Schwein Recht!
Und so war Teever eines nicht klar: Musste der Mörder von Waldén überhaupt gefangen und bestraft werden? Oder hatte er der Gesellschaft, der Menschheit einen Dienst erwiesen? Konnte eine Form der Selbstjustiz zu rechtfertigen sein? Doch ehe Teever mit sich selbst und seinen moralischen Werten in einen Disput trat, wurde ihm klar, dass es schließlich weniger darum ging zu ermitteln, wer Waldén ermordet hatte, sondern wer es nicht gewesen war: Kent. Darüber war Teever fast ein wenig erleichtert.
Auf dem Weg nach Hause war er durch Växjö gekommen und hatte sich eine Zeitung gekauft. An einer Ampel knutschte ein junges Paar in dem Volvo vor ihm zwei Grünphasen lang. Er ließ sie gewähren, ohne zu hupen, lenkten sie doch Teevers Gedanken für einen Augenblick von den misshandelten Kindern ab. Leiderohne ihn zu entspannen. Er merkte dies an seinen Backenzähnen, die wie eine Presse aufeinander drückten.
Liebe, Harmonie.
Lisa, dachte er seufzend und merkte genauso wenig wie das Paar, dass die Ampel ein drittes Mal auf Grün gesprungen war.
Dann hupte Teevers Hintermann energisch. Die Zunge des Fahrers verließ den Mund seiner Freundin oder Frau und Teever erntete ungerechtfertigt einen ausgestreckten Mittelfinger.
An der nächsten Ampel hielt ein schwarzer Mercedes neben ihm. Ein mittelaltes Paar vollführte eine Pantomime. Ein tonloser Streit. Der Mann war außer sich, die Frau schien zu weinen.
Hass, Zwietracht.
Catharina. Auch so konnte es gehen.
War er überhaupt zu einer dauerhaften Partnerschaft fähig? Würde er Lisa mit seiner Liebe erdrücken? Dürfte er es um ihres und seines Willen überhaupt noch mal versuchen? Was würde passieren, wenn sie sich von ihm trennte? Der große Knall? Er erinnerte sich nur zu gut an die Momente, wo er daran dachte, ein Selbstmordversuch würde Catharina vor Augen führen, wie sehr er sie liebte und brauchte. „Hör auf“, rief er laut und schlug sich mit beiden Händen auf die Wangen. Der Mann im Wagen neben ihm sah ihn verwirrt an. Was für ein Blödsinn, sich über das Ende einer Beziehung Gedanken zu machen, die noch nicht einmal begonnen hatte und dies wahrscheinlich nie tun würde.
Helgi und Ellen saßen am Küchentisch bei Kaffee und Croissants. Der Duft nach Frischgebackenem hatte Teever schon an der Haustür empfangen. Ellen kratzte mit der Messerspitze ein Marmeladenglas aus und bestrich die Spitze des Blätterteigs.
„Wo kommst du denn schon her?“ fragte Helgi und deutete auf einen freien Stuhl, „du verpasst etwas.“
Er biss in sein Croissant und machte ein verzücktes Gesicht.
„Ellen ist ein Back-Genie“, sagte er mit vollem Mund. „Probier mal!“
Er hielt Teever ein Croissant hin. Ellen stand auf und holte eine Tasse, ein Messer und einen Teller.
„Kaffee?“ fragte sie.
Teever nickte und ließ sich ächzend auf den Stuhl fallen.
„Wo warst du denn nun?“ wiederholte Helgi neugierig.
Teever winkte ab.
„In der
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