Onkel Schwein (German Edition)
Schon als Kind war er im Wald am zufriedensten gewesen und auch nun beflügelte ihn tatsächlich so etwas wie Glück, ehe sein Mobiltelefon mit Beethovens 9. Sinfonie die Wanderromantik beendete. Helgi wollte wissen, ob es in Ordnung wäre, wenn die Leute von dem deutschen Reiseveranstalter am nächsten Tag kommen würden. Teever fand das zwar etwas kurzfristig, sagte aber zu. Er bat Helgi, zumindest oberflächlich für Ordnung zu sorgen.
Die Gebäude reichten fast bis an den Wald heran. Das Haupthaus war frisch gestrichen. Deutlich hob sich das Weiß der Eckbalken und des Giebels vom Rot der Fassade ab. Der Hof war ein buntes Potpourri an Schuppen, Ställen und anderen kleinen Gebäuden, deren Zweck Teever nur erahnen konnte. Ein Gartenstuhl aus Plastik erwartete den Sommer.
Teever stand einige Augenblicke still da und beobachtete das Haus. Ein Saab fuhr ohne zu halten durch, dann verschwand ein Kleinlaster hinter einem merkwürdig asymmetrisch geformten Schuppen im Wald. Ein Netz, das früher einmal Hühner vor Greifvögeln geschützt haben dürfte, schaukelte leicht im Wind.
Auf dem Acker gegenüber stand wieder ein Reh und beäugte ihn aufmerksam.
Mit schnellem Schritt ging Teever zum Eingang. Den Dietrich hatte er bereits in der Hand. Das einfache Schloss ging ohne Probleme mit einem leisen Quietschen auf. Es schien längere Zeit nicht benutzt worden zu sein. Mit angehaltenem Atem betrat er das Haus.
Links und rechts in einem kleinen Flur hingen Jagd-Trophäen auf kleinen Holzwappen, wie mit der Wasserwaage ausgerichtet. Es roch nach abgestandener Luft und Zigarettenrauch. Die Dielen ächzten bei jedem Schritt. An manchen Stellen war der Boden mit Linoleum ausgelegt, an anderen kräuselten sich verwaschene Flickenteppiche, wie auch Teever sie zu Hause liegen hatte. Er verschaffte sich zunächst einen groben Überblick über das Erdgeschoß. Alles machte einen verwohnten Eindruck. Nicht ungepflegt, ordentlich, aber ohne Liebe zum Detail eingerichtet. Die Möbel waren alt, aber das machte es nicht gemütlich oder gar schön. Es sah einfach nur verbraucht aus durch eine lange Nutzung. Teever fielen sofort die nach identischem Rückenschild oder Farbe sortierten Bücher auf. Er überflog die Titel und Autoren. Pal Möller, Jim Pendruti, Palle Wallström, Judit Strand. Er kannte niemanden davon. Waldén hatte einen ausgefallenen Geschmack. Besonders ein Bengt Bengtson schien es ihm angetan zu haben. Von dem fand Teever gleich eine ganze Reihe von Büchern, teilweise in mehrfacher Ausgabe. Nicht zu der Ordnung passte ein Stapel, der sich auf dem Rücken liegend vor weiteren Romanen befand. Klassiker. Tolstoi, Dostojewski, Strindberg. Ein Regalbrett wurde von einem altertümlichen Konversationslexikon ausgefüllt. Der Einband ließ darauf schließen, dass man Schlagworte wie PC, Compact Disc oder die Mondlandung darin vergeblich suchen würde.
Quer auf den Buchstaben E bis M lag ein Fotoalbum. Teever schlug es auf. Auf jeder Seite waren genau vier Bilder zu einem Quadrat mit Fotoecken festgeklebt. Es ging in den Urlaub. Wie ein Tagebuch. Auto packen, Abfahrt, Rast, Fähre. Wieder eine Rast, wohl an der Autobahn. Dann war man da. Irgendwo im Süden, vielleicht Spanien. Es gab keine Beschriftungen zu den Bildern.
Die Fotos schienen chronologisch sortiert zu sein. Doch wie, fragte sich Teever, hat man es dann hinbekommen, dass immer zwei hochkant und zwei quer waren? Hatte der Fotograf immer schon so fotografiert oder die Person, die die Bilder eingeklebt hatte, nur die passenden aus einer riesigen Menge ausgewählt?
Die Motive waren banal. Typische Urlaubserinnerungen ohne künstlerischen Anspruch. Oft waren die Füße abgeschnitten oder die Hälfte des Bildes war Himmel und unten guckte ein Kopf über den Rand, so als wollte jemand Kleines unbedingt mit auf das Foto. Eine Frau in buntgeblümtem Kleid sah ihn so von der Treppe zu einer Kirche an. Wie konnte man so herzlos sein und einen kleinen Menschen so auf einem Foto darstellen, dachte Teever. Er war sich sicher, dass es sich um die unauffindbare Selma Waldén handelte. Sie blickte meistens freundlich in die Kamera, doch ihr Lächeln wirkte aufgesetzt. Als wenn der Fotograf was von Spaghetti gesagt hatte. Sie lächelte nur mit dem Mund, nicht mit den Augen. Ihr Mann, den Teever von den Zeitungsfotos kannte, trug auf fast allen Fotos eine blaue Schirmmütze, die schon am Tag der Aufnahme so unmodern gewesen war, dass Teever sich gedanklich weigerte, sie
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