Onkel Schwein (German Edition)
Jacke anbehalten hatte. Er schwitzte und hatte Angst, sich draußen an der kalten Luft zu erkälten. Dann würde die Weihnachtszeit noch trauriger als sowieso schon werden, dachte er. Fiebernd im Bett liegen und vor mich hin jammern. Toll. Zur Bestätigung seiner Befürchtungen musste er niesen.
Ausgerechnet ein dänischer Ferienhausbesitzer auf dem Weg in die Weihnachtsferien war es, der Zavadils Leben rettete, ohne dessen Einstellung zum Ausverkauf der schwedischen Landschaft, wie er es nannte, zu ändern.
Der Mann hatte wie immer vergeblich in seinen Briefkasten gesehen und sich über den laufenden Motor des Postwagens gewundert. Er war ein wenig umher gegangen und dann über Zavadil gestolpert. Der Rettungswagen kam in letzter Sekunde. Nicht wegen des Kreislaufkollapses, den der Briefträger erlitten hatte, sondern weil die niedrige Temperatur Zavadils fast schon irreversible Schäden in seinem Körper angerichtet hatte. Der Arzt erzählte, dass Schiffbrüchige oft lebendig gerettet werden, man aber trotzdem nichts mehr für sie tun kann: Sie sterben an der erlittenen Unterkühlung; Zavadil hätte sehr viel Glück gehabt.
Der Briefträger setzte sich in seinem Bett auf und grinste schief: „Dann war es vielleicht sogar gut, dass ich Fieber hatte!“
Plötzlich erinnerte er sich an den Inhalt des Müllsackes und er sackte zurück in das Krankenhausbett. Diese Augen, dachte Zavadil, diese Augen.
Er würde den Blick des Toten nie vergessen.
„Das gibt es doch gar nicht“, sagte er und schüttelte den Kopf, „warum immer ich?“
Der Arzt lächelte ihn freundlich, aber verständnislos an. Er wusste nicht, dass sein Patient fast schon regelmäßig Leichen fand.
20. Dezember: Moses
Es hatte wieder zu schneien begonnen. Rote Blutstropfen säumten den Weg von der Mülltonne zu Teevers Haus. Er hatte sich an dem Plastikbehälter geschnitten, an einem feinen Grat. Ein winziger Schnitt, doch er hörte nicht auf zu bluten. Teever hatte das Blut abgeleckt. Der bekannte bleierne Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Passt zu meiner Stimmung, dachte er und bemerkte, dass sich auch auf seiner Jacke Blutstropfen befanden. Er überlegte, was gegen solche Flecken helfen würde. Teever hatte irgendwo ein kleines Kompendium zu diesem Thema. Großmutters Fleckentipps oder so. Er erinnerte sich nur noch daran, dass man bei Weinflecken Salz streuen sollte. Galt das auch für Blut? Unwillkürlich musste er an ein Erlebnis in seiner Kindheit denken, als er in einer Kirche Wein trinken sollte und man ihm sagte, das wäre das Blut von Jesus Christus. Er hätte sich am liebsten übergeben.
Im letzten Jahr war er am zweiten Weihnachtstag im T-Shirt unterwegs gewesen. Früher, als Kind, hatte Teever nichts anderes als weiße Weihnachten gekannt. Er dachte wehmütig an Schnellballschlachten und Iglus. Einmal war eine Schneehöhle über ihm zusammengebrochen. Teever hatte geglaubt, ersticken zu müssen, doch ein Freund grub ihn ganz schnell aus. Seine Eltern hatten geschimpft wie selten.
Früher waren auch die Sommer immer schön gewesen. In seiner Erinnerung hatte es im Juli oder August nie geregnet. Teever fragte sich, ob das Wetter früher wirklich besser gewesen war oder sich einfach nur die schönen Jahre in seinem Gedächtnis verankert hatten. Verregnete Sommer waren unwichtig und Unwichtiges löschte das Gehirn aus dem Speicher. Leider löschte es nicht auch Unschönes. Er hatte wieder geträumt.
Seine Stimmung nach dem Aufstehen entsprach dem Radioprogramm. ROCX-FM spielte nur Trauermusik. Ein Landbriefträger hatte den Moderator gefunden. Stringheim war tot. War Waldén nicht auch von einem Postboten entdeckt worden, ging es Teever durch den Kopf. Merkwürdig. Aber wenn schon niemand mehr schreibt, sondern eine SMS verschickt oder eine E-Mail, haben die armen Kerle wenigstens eine Aufgabe, dachte er etwas zynisch.
„Zur Todesursache gibt es noch keine Informationen“, vermeldete der Nachrichtensprecher mit Grabesstimme. Die Hörer könnten sich aber darauf verlassen, umgehend informiert zu werden, sofern die Informationslage sich verbessern würde.
Dann kam Werbung. Auch auf die konnte man sich verlassen.
Teever schaltete um auf CD. Ihm war nach den Stones. Mick Jagger war der lebende Beweis für den alten Spruch, dass man so alt ist, wie man sich fühlt. Das fand Teever heute hilfreich. In der Nacht hatte er sich in den Wachphasen wieder mit allerlei Sorgen herumgeschlagen. Einsamkeit, Alter, Krankheiten.
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