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Onkel Wanja kommt

Titel: Onkel Wanja kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Kaminer
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ganze Zeit, sondern nur ein paar Stunden am Tag, zwischen 20.00 Uhr und 22.00 Uhr etwa.
    Der kosmische Spiegel sollte natürlich kein Brett sein, kein Wandspiegel wie im Badezimmer. Ein solcher Spiegel würde im Kosmos sofort kaputtgehen – beispielsweise durch umherfliegenden kosmischen Staub beschädigt werden und zerbrechen. Und zerbrochene Spiegel brachten bekanntlich Unglück, das wusste jeder Russe. Deswegen wurde für den kosmischen Spiegel ein spezieller reißfester Stoff entwickelt, der aufgerollt ins All transportiert werden sollte, um dort ausgefaltet das Licht in die richtige Ecke der Erde zu spiegeln. 1971 startete die Rakete, die sich in einer bestimmten Position zu zwei Spiegelträgern befand, die den Spiegel aufziehen sollten. Trotz der exakten, mehrmals geprüften Berechnungen erwies sich jedoch die Spiegelwand als zu kurz, ihr fehlten gerade mal ein paar Meter. Das Experiment ging schief, der Abstand zwischen den Spiegelträgern war zu gering, sie verloren an Höhe und verbrannten. In Amerika wurde allerdings eine ungewöhnlich helle Nacht registriert, die später für einen Zombiefilm mit dem Titel Die weiße Nacht von Minnesota herhalten musste.
    Ein zweiter Versuch, den kosmischen Spiegel ins All zu schicken, wurde nicht unternommen. Das Institut wurde geschlossen, die Wissenschaftler nach Hause geschickt. Viele von ihnen wollten mit ihrer Teilnahme an diesem geheimen Projekt später angeben, doch sie hatten nichts außer Erinnerungen vorzuweisen. Nur drei ehemalige Mitarbeiter hatten etwas mitnehmen können, berichtete mir mein Onkel vor dem deutschen Ministerium der Wissenschaft stehend. Der ehemalige Leiter des Instituts zur Spiegelung des Sonnenlichts, ein leidenschaftlicher Wanderer, der beinahe ganz Russland zu Fuß erkundet hatte, besaß ein Zelt, das nachts leuchtete. Es war die Sensation bei jedem Touristentreff. Die Frau des ehemaligen Hauptingenieurs hatte eine unheimlich schöne Handtasche, die man zugleich als Spiegel benutzen konnte. Niemand in der Stadt hatte etwas Vergleichbares, und alle Frauen waren neidisch. Der absolute Hammer war aber die Hose des Aushilfshausmeisters, meines Onkels. Sie leuchtete im Restaurant, wenn der Onkel eine Dame zum Tanz bat. Die ganze Tanzfläche stand still, wenn der Aushilfshausmeister tanzen ging, und sein Hintern warf Lichtblitze wie eine Diskokugel. Der Versuch, Gott gleich zu sein und das Licht umzulenken, war buchstäblich in die Hose gegangen. In die meines Onkels.
    Der Untergang seines Instituts hat ihn aber nicht gebremst. Mein Onkel war ein Alleskönner und hat in seinem Leben mehr Berufe gewechselt, als im sowjeti schen Berufsratgeber Was will ich werden aufgelistet waren. Ihn zu fragen, wie er zu dem einen oder anderen gekommen war, erwies sich stets als sinnlos. Mein Onkel konnte sich selbst nicht daran erinnern, er wusste jedoch noch, dass er in all seinen Berufen erfolgreich war. Obwohl Erfolg ein höchst subjektives Gefühl ist. Ich habe einmal ein Interview mit einem alten verdienten Pornodarsteller gelesen. Darin antwortete dieser Held der Arbeit auf die Frage, wie er es geschafft habe, so lange so unglaublich potent zu sein und niemals zu versagen: Er kenne nur zwei Möglichkeiten, in einem Beruf erfolgreich zu bestehen: Entweder trieb einen die Liebe oder der Hass. Er habe anfänglich mit Liebe zu arbeiten begonnen, doch schon bald hätte er den Job immer mehr gehasst. So wurde er zu einem perfekten Leistungsträger in seiner Branche. Natürlich könne man es mit Liebe versuchen, aber der Hass bringe einen weiter, wenn es um Leistung ging, erklärte der Pornodarsteller. In seiner Freizeit gehe er am liebsten angeln, denn das sei schon immer seine wahre Leidenschaft gewesen.
    Als ich das las, musste ich unweigerlich an meinen Onkel denken, der einmal in einem Betrieb der Fischfangflotte gearbeitet hatte und ständig erzählte, er würde wegen der Fischerei nie eine Frau finden. Eigentlich sollte der Pornodarsteller doch lieber Fischer werden und der Fischer Pornodarsteller, oder sie sollten sich gelegentlich abwechseln, überlegte ich.
    Seit meiner Kindheit kenne ich fast nur Menschen, die in falschen Berufen stecken und etwas anderes arbeiten als das, was sie sich eigentlich gewünscht haben. In der fünften Klasse kam der Schuldirektor meiner sowjetischen Schule mitten im Unterricht mit einem großen Tonbandgerät und einem Mikrofon zu uns in die Klasse. Erst hinterher habe ich erfahren, was für ein Streber unser damalige

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