Onkel Wanja kommt
gelagert hatte. Hätte der Ziegenliebhaber, wie die anderen Goldbesitzer, sein Gold im Schließfach der Bank deponiert, wäre ihm das nicht passiert. Mit dieser Erklärung kaufte die Bank dem Ziegenmelker sein verrostetes Gold mit einem dreiprozentigen Diskont zurück.
Diese Geschichte geriet an die Öffentlichkeit, und viele Goldbesitzer fragten sich daraufhin, ob das alles bloß eine Sommerlochgurke oder ob da doch etwas Wahres dran war. Was, wenn die Welt sich tatsächlich verändert hatte, die Physik und Chemie ihrer Elemente nicht mehr stimmte? Die globale Erwärmung, das Ozonloch, das Erdbeben in Japan, letzten Endes die in der Schweiz in einem Teilchenbeschleuniger erzeugten schwarze Löcher könnten die Elemente des Periodensystems verschoben haben, und daraufhin ist alles durcheinandergeraten. Der Glanz der frühen Zeit ist erloschen, das Gold verschimmelt.
Wenn das wahr ist, haben wir überhaupt keine festen Werte mehr, auf die man sich stützen kann. Sogar in der Schweiz, diesem Hort der Stabilität und Neutralität, bemerkte ich neulich eine gewisse Unsicherheit bei Geschäftsleuten und Bankdirektoren. Ich war gleich zwei Mal hintereinander in der Schweiz gewesen. Einmal hatte mich die schweizerische Bankenvereinigung als Redner eingeladen, ein andermal hatte ein großer Pharmakonzern meinen Freund Vitali und mich als DJ s mit unserer Tanzmucke »Russendisko« für ihre Weihnachtsfeier gebucht.
»Diese Leute müssen doch unglaublich potente Tänzer sein, nicht umsonst haben sie das Viagra erfunden«, freute sich mein Freund auf die Einladung.
Die Party war aber die ruhigste und langweiligste, die wir jemals erlebt haben. Mehrere hundert Mitarbeiter waren in einem großen Saal versammelt, Quartalszah len wurden vorgelesen, es wurde russisch gegessen, wenig getrunken und noch weniger getanzt. Am heftigsten tanzten die DJ s, also wir selbst, und ein älterer Mann, der trotz seines Alters immer wieder hochsprang und immer dasselbe Lied über die Biene Maja bestellte. Mein Freund gab ihm den Spitznamen »Leiter der Viagra-Abteilung«. Noch vor Mitternacht waren wir entlassen.
Außer uns gab es noch ein zusätzliches Unterhaltungsprogramm. Ein schwäbischer Schauspieler moderierte zwischen den einzelnen Gängen des Menüs. Er gab den russischen Zaren Iwan den Schrecklichen, denn der ganze Abend war unter einem russischen Kulturstern geplant worden. Die Witze des schrecklichen schwäbischen Zaren Iwan waren, höflich ausgedrückt, nicht gut. Sie waren so unappetitlich, dass ich mir Sorgen machte, ob die Konzernmitarbeiter dabei ihr Essen problemlos runterbekamen.
»Wir Russen«, sagte der schreckliche Zar, »waschen uns nie. Denn mein Vater sagte immer: ›Ein Russ muss riechen wie ein Ross‹.«
Eiserne Stille breitete sich im Raum aus, nur mein Freund Vitali hustete höflich. Nach der Veranstaltung wollten wir uns diskret mit dem Zaren unterhalten.
»Sag mal, Zar«, fing ich freundlich an, »ich hätte da eine Frage bezüglich deines Auftritts.«
Der Zar schaute uns ängstlich an und streckte die Hände vor: »Sagen Sie nichts weiter, ich weiß, es waren unglaublich dämliche Witze. Aber ich habe schlicht und einfach keine besseren über Iwan den Schrecklichen gefunden, und die Firma wollte keinen anderen Zaren, es sollte unbedingt dieser Iwan sein.«
Wie ließen den Zaren natürlich laufen.
Drei Wochen später war ich wieder in der Schweiz, in einer Bank. Die bereits erwähnte schweizerische Bankvereinigung hatte zu ihrem kleinen Empfang einen badischen Weinhändler mit Wein, Käse und Schokolade eingeladen sowie einen lokalen Wurstmacher und mich mit einem launigen Vortrag zum Thema Finanzen. Der Weinhändler war sehr aufgeregt. Wein, Käse und Schokolade in die Schweiz zu bringen, das ist, wie Eulen nach Athen zu tragen. Doch die Banker waren sehr freundlich. Sie nahmen alles wohlwollend auf, was man ihnen anbot, sie aßen den Käse und lobten den Wein. Einige von ihnen behaupteten, unter dieser ihrer Bank läge das ganze Gold der Schweiz begraben.
Wenn man mit Schweizern über die Quelle ihres Reichtums spricht, erzählen sie gerne von Fleiß, Disziplin, Ehrlichkeit und anderen Tugenden ihres Volkes. Wie jede Nation sind die Schweizer völlig in Mythen über sich selbst gefangen. Viele Schweizer glauben tatsächlich, dass Hitler die neutrale Schweiz nicht angegriffen hat, weil er Angst vor diesem kleinen, aber unglaublich mutigen Volk hatte. Die Städte hätte Hitler zwar schnell eingenommen,
Weitere Kostenlose Bücher