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Onkel Wanja kommt

Titel: Onkel Wanja kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Kaminer
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doch dann wären die Schweizer in die Berge gezogen, gut bewaffnet und organisiert, und hätten dem Führer einen solchen Partisanenkampf mitten in Europa geliefert, dass die deutschen Stellungen an der Ostfront deutlich geschwächt worden wären. Deswegen habe Hitler fast der ganzen Welt, jedoch nicht der Schweiz den Krieg erklärt. Die einfachere Erklärung, dass ihre Neutralität Hitler nutzte und in Wirklichkeit den Bösen half, ihr Gold zu verstecken, käme den Schweizern nicht in den Sinn.
    Irgendwie stehen sich die Menschen doch immer selbst im Wege. Ihre Ansprüche werden größer, ihr Können kleiner, und egal, was sie sich wünschen, sie kriegen es nicht hin. Die Amerikaner können sehr gut Löcher in die Erde bohren, um nach Öl zu suchen, aber sie können ihre Löcher nicht mehr schließen. Die Japaner können im sichersten Reaktor der Welt die Kernschmelze nicht verhindern. Deutsche bauen aus Angst vor Radioaktivität unermüdlich Windmühlen, als wollten sie in Zukunft alle als Windmüller überleben. Die Finnen schwitzen in der Sauna weniger als früher. Und die Russen, früher leidenschaftliche Jäger, haben immer weniger Spaß am Jagen großer Tiere, ganz so, als hätte der russische Jagdgott sie verlassen.
    Es begann damit, dass mehrere nacheinander ins Amt befohlene Gouverneure auf der Jagd verunglückten. Jeder neue Gouverneur denkt, er sei der bessere, und will sich etwas Besonderes gönnen. Als erste Amtshandlung begibt er sich auf eine Hubschrauberjagd ins Altai-Gebirge, um aus der Luft wilde Steinböcke zu schießen. Manchmal fliegen die Jäger auch zu zweit oder zu dritt. Von insgesamt vier Dutzend Gouverneuren ist inzwischen ein Drittel aus dem Hubschrauber gefallen. Die ersten Vorfälle ereigneten sich alle nach dem gleichen Muster, sodass man zuerst an eine Entführung dachte. Man fand einen vollkommen zerschossenen Hubschrauber mit dem toten Piloten auf dem Boden und keine Gouverneure drum herum. Später wurden die Gouverneure ebenfalls tot in den Bergen gefunden, in der Regel weit weg von der Unfallstelle. Die Rekonstruktion der Vorfälle machte deutlich, dass die Gouverneure die Piloten gezwungen hatten, so tief wie möglich zu fliegen, um die Steinböcke aus sicherer Entfernung abzuschießen. Die Böcke liefen auf die Spitze des Berges, der Hubschrauberpilot schaukelte ein wenig, um die Maschine hochzuziehen, die Gouverneure verloren das Gleichgewicht, schossen um sich und fielen aus der Kanzel. In mehreren Fällen überlebten sie den Absturz, denn Gouverneure haben eigentlich wie Katzen sieben Leben. Nur schämten sie sich, in der Stadt bei ihrem Amt um Hilfe zu rufen. Sie liefen den Steinböcken hinterher, verirrten sich und verdursteten in den Bergen. Seitdem ist die Bocksjagd in Russland offiziell auch für Gouverneure nicht mehr erlaubt.
    Selbst die berühmte russische Bärenjagd ist zu einer Touristenattraktion heruntergekommen. Ein Freund von mir, der in der Tourismusbranche arbeitet, erzählte, dass es in der Nähe von Moskau spezielle Naturschutzgebiete gibt, wo Bären von Touristen mit Paintball-Gewehren, also mit Farbkugeln, beschossen werden. Mein Freund hat mehrmals Touristengruppen in eine solche Anlage begleitet und meint, die Tiere sähen dort wie Gummibärchen aus. In allen Haribo-Farben laufen sie durch die Gegend: Es gibt inzwischen gelbe Bären, rote Bären und grüne Bären. In der Regel laufen sie weg, wenn sie einem Touristen mit Gewehr begegnen. Nur ein Bär, den alle übrigens Iwan den Schrecklichen nannten, ging auf die Touristen zu. Er genoss es anscheinend, mit Farbkugeln beschossen zu werden, und sah aus wie die Palette eines avantgardistischen Malers.
    Vielleicht träumte der farbverliebte Bär von einer künstlerischen Karriere. Vielleicht hat er aber einfach ein schlechtes Gewissen, weil er in seinem früheren Leben in Freiheit viele Touristen aufgeschlitzt hat, gaben die Naturparkwächter zu bedenken. Der Bär war schon alt. Nun suchte er nach Vergebung für seine Sünden bei den Touristen, wie Iwan der Schreckliche es kurz vor seinem Tod getan hatte. Dieser Zar war eine tragische Figur und für Witze schlecht geeignet. Er war sein Leben lang von Verzweiflung und Ängsten geplagt. Besonders groß war seine Angst zu sterben. Ihm war bewusst, dass sehr viele Menschen durch ihn gelitten, von ihm gequält und umgebracht worden waren. Deswegen verteilte er sein ganzes Gold an die Kirchen, die Gott Tag für Tag um Vergebung für ihn und um Frieden für die

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