Onkel Wanja kommt
Bierflasche in der Hand gehabt. Er war in seinen jungen Jahren übrigens Leichtathlet gewesen und hatte unter anderem Hammer geworfen, hielt sich von daher für supersportlich, überschätzte aber wie gesagt seine Fähigkeiten bei den englischen Touristen völlig.
Russen überschätzen sich in dieser Hinsicht am laufenden Band. Sie halten sich alle für Athleten, weil sie als Kinder in irgendwelchen Sportvereinen merkwürdige Sportarten erlernt haben, die bei heutigen Kindern nur verständnisloses Lächeln hervorrufen. Sie gingen fechten, eisschnelllaufen, hochspringen oder eben hammerwerfen. Mir würde es schwerfallen, Kindern zu erklären, warum man so etwas wie einen Hammer überhaupt werfen sollte. Für mich sind diese Sportarten nichts anderes als Erinnerungen an die Partisanenkämpfe der Vergangenheit. Hierzulande wurden nicht Hämmer, sondern eher Speere geworfen. Die Deutschen erzielen im Speerwerfen, glaube ich zu wissen, nach wie vor gute Ergebnisse bei den Olympischen Spielen. Schon die Römer ärgerten sich unsäglich über diese kurzen hinterhältigen Speere, die die Germanen unter den Mänteln trugen. Ins Gesicht grüßten sie die römischen Ritter höflich, wenn sie ihnen auf dem engen Waldweg begegneten. Aber kaum ritten die Ritter vorbei, bekamen sie den kurzen Speer in den Rücken gestoßen oder geworfen. Die Sonne schien. Und die Vögel zwitscherten natürlich. Die Pferde zwitscherten auch. Sie wunderten sich, wo ihre Reiter plötzlich hingeflogen waren. Die kurzen hinterhältigen Speere nannten die Römer »arma partisana«, später wurden daraus die Partisanen, die Wald- und Hinterhaltkämpfer.
Während des Vaterländischen Krieges im 19. Jahrhundert warfen die russischen Bauern der französischen Armee Mistgabeln entgegen und holten die Soldaten Napoleons damit vom Pferd. Auf vielen Gemälden der damaligen Zeit sind die Franzosen mit Kanonen, die Russen mit Mistgabeln abgebildet. Diese Mistgabeln haben den Ausgang des ersten russischen Vaterländischen Krieges entschieden und den russischen Imperator Alexander I. bis nach Paris katapultiert. Wenn neben Speer und Hammer auch das Mistgabelwerfen zu einer olympischen Disziplin geworden wäre, hätten die Russen gute Chancen, auf ewig Weltmeister in dieser Disziplin zu sein. Leider wurde die Gabel vom olympischen Komitee nicht anerkannt. Sie kam zu spät.
In jedem Jahrhundert werden irgendwelche Dinge durch die Gegend geschleudert, man kann sie unmöglich alle olympisch disziplinieren. Mein vietnamesischer Nachbar erzählte mir, wie in Vietnam im vorigen Jahrhundert sogar Brecheisen durch die Luft flogen. Das passierte im Rahmen des Vietnamkriegs, bei dem die besser bewaffneten, aber untermotivierten Amerikaner so schrecklich versagten. Das in der Mitte gebogene Brecheisen liegt nun in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi im dortigen Volkswaffenmuseum. Während des Krieges mussten die Vietnamesen ihre Waffen zunächst selbst erfinden, um ihre Dörfer vor den Hubschrauberangriffen der Amerikaner zu schützen. Sie banden also ein langes Gummiband zwischen zwei Bäume, legten die verbogene Eisenstange als Wurfgeschoß in die Riesenschleuder, im Volk »Gummikanone« genannt, und warteten. Wenn die Hubschrauber kamen, versammelte sich das ganze Dorf an der Kanone, und alle zogen mit vereinten Kräften an dem Gummiband. Auf Kommando ließen sie dann los. Ein auf diese Weise geschleudertes Brecheisen fegte aus 200 Metern Entfernung die Hubschrauberkabine mit dem Piloten einfach weg. Nach dem Schuss lief das ganze Dorf in den Dschungel, um nach dem Brecheisen zu suchen.
Nicht jede Volksgemeinschaft kann eine solche Gummikanone bedienen. Ständig im Kollektiv, im Geiste der Zusammenarbeit erzogen, konnten die Vietnamesen eine beträchtliche Treffsicherheit erreichen. Wie ein Mann zogen sie an dem Gummiband, und wie ein Mann ließen sie los. So ging das vergangene Jahrhundert zu Ende. Die Sonne schien. Die Vögel zwitscherten. Die Brecheisen flogen. Mein Onkel und ich wären aber auch als Kollektiv zu klein und zu schwach gewesen. Wir hatten weder Waffen noch Kraft und wären den bösen Geistern der Invalidenstraße hilflos ausgeliefert, wenn sie es zum Beispiel auf des Onkels Koffer abgesehen hätten.
»Das sind doch bloß die Erzengel, die das Tor zum Paradies bewachen«, beruhigte ich meinen Onkel. »Die Döner-Erzengel vor dem Döner-Paradies!«
Mein Onkel lachte.
Russen grüßen am Döner-Paradies
Die Erzengel schauten uns schweigend an, sie
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