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Onkel Wanja kommt

Titel: Onkel Wanja kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Kaminer
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lächelt, wie es in den Sachbüchern verlangt wird, wobei es vielen augenscheinlich nicht leichtfällt.
    »Mir hat Carnegie sehr gut geholfen, ich lache und bin froh. Alle sagen, ich bin ein ganz anderer Mensch geworden!«, schwärmte einmal eine Blondine im Eiscafé gegenüber ihrer grimmigen Freundin.
    »Und mir hat der verfickte Scheiß-Carnegie gar nicht geholfen, so ein Mist«, erwiderte diese und schlug mit der Handkante auf den Tisch.
    Aber trotz solcher Momente des Widerstands nimmt der Kapitalismus in Russland seinen Lauf. Die Menschen schimpfen und spucken, grüßen aber freundlich. Wenn es so weitergeht, werden sie bald wie die Österreicher sein. Die Österreicher grüßen einen nämlich wie verrückt. Mein Lieblingswitz darüber geht so:
    Ein attraktiver Österreicher fragt einen hässlichen, wie er es schafft, so viele Frauen herumzukriegen, wo er doch so hässlich ist und der Attraktive nicht einmal eine Freundin hat. »Grüßen musst du sie«, sagt der Hässliche. »So lange grüßen, bis sie bei dir im Bett landen.«
    Der Hässliche hat Recht: Die, die nicht grüßen, sterben aus. Insofern ist es doch ein Glück, dass die Russen grüßen.
    Wir grüßten die Erzengel vorbildlich, bestätigten unsere russische Herkunft und fragten vorsichtig nach ihrer. Mein Onkel war überzeugt, dass es sich bei unseren neuen Bekannten um Kurden handelte. Angeblich hatte er früher in Odessa mit Kurden Kontakt gehabt und konnte sie aus der Ferne erkennen. Ich dagegen tippte auf eine türkische Herkunft der Erzengel. Wir lagen jedoch beide mit unseren Vermutungen völlig falsch. Zwei der Erzengel waren Syrer, ihr dritter Freund, der Taxifahrer, stammte aus dem ehemaligen Jugoslawien.
    »Tolle Jacke!«, sagte einer der Syrer, der direkt vor dem Imbisseingang stand, und zeigte auf meine dunkelgelbe Lederjacke. Ich nickte.
    »Ich habe euch Russen sofort bemerkt!«, gab der Syrer an. »Alle Russen tragen Lederjacken, Russen stehen Lederjacken gut«, setzte er philosophisch fort. »Ich komme aus Syrien, mir stehen Lederjacken überhaupt nicht. Meine Frau sagt immer: ›Zieh die sofort aus, du bist zu groß für eine Lederjacke. Kauf dir lieber ein Sakko.‹«
    Ich musterte mein Gegenüber. Er war tatsächlich groß, aber bei weitem nicht so groß, dass er in keine Lederjacke passen würde. Er hatte eine zärtliche Art zu gestikulieren, einige goldene Zähne im Mund und etwas Weibliches in der Figur. Seine Haut hatte die Farbe von Pergament, sie war dunkelgelb, genau wie meine Lederjacke.
    »Russen tragen auch gerne Sportanzüge«, bemerkte der andere Syrer und zwinkerte mir zu. »Es sind sportliche Leute, solche Anzüge stehen ihnen gut«, entwickelte er seine nationalistischen Modeideen weiter. »Ich komme aus Syrien und meine Frau auch. Wir wohnen in Wedding. Sehr viele Russen aus Kasachstan sind unsere Nachbarn. Großartige Leute, alle sehr sportlich. Eine Frau, sie heißt Valentina, kommt fast jeden Tag meine Frau besuchen. Sie trinken zusammen Tee und sprechen über das Leben, und eines Tages sagte meine Frau zu mir: ›Du, diese Russen, die sind genau wie wir.‹«
    »Logisch«, bestätigte ich, »Syrien und Kasachstan sind beides exotische Länder, die weit weg liegen. Sie müssen mehr Gemeinsamkeiten miteinander als mit Deutschland haben.«
    »Lass uns darauf einen trinken, wir geben einen aus!«, rief der Syrer und zeigte einladend auf die geöffnete Tür des Döner-Paradieses.
    Eine solche große Geste im Sinne der Völkerverständigung durfte nicht abgelehnt werden. Ich erklärte dem Onkel die Situation, wir mussten mit den Syrern ein Bier trinken.
    Im »Paradies« war es angenehm warm und hell. Der eine Syrer nahm hinter dem Tresen Platz, sein Freund und der exjugoslawische Taxifahrer holten die Bierflaschen aus dem Kühlschrank. Man merkte allen dreien an, dass sie sich schon lange kannten und viel Zeit im »Paradies« verbrachten. Wir stießen an.
    »Es gibt aber auch Russen, die keine Sportanzüge und keine Lederjacken tragen«, versuchte ich die Klischees der Syrer aufzuweichen. »Es gibt solche, die sehr feine Anzüge bevorzugen.«
    »Wir wissen, was du meinst!«, freuten sich die Syrer. »Du meinst diese Russen im Niemandsland?«
    Ich verschluckte mich beinahe an meinem Bier.
    »Die Russen im Niemandsland – wer soll das denn sein?«, fragte ich verwundert.
    »Wir unternehmen oft große Reisen«, erklärte mir einer der Syrer. »Im letzten Sommer sind wir mit dem Auto von Berlin bis nach Syrien gefahren.

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