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Onkel Wanja kommt

Titel: Onkel Wanja kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Kaminer
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Buch. In dieser Welt schmort jeder in seiner persönlichen Hölle und glaubt noch, er sei im Paradies. Und viele fragen sich, was danach kommt. So kurz und unbefriedigend wie ein spannender Krimi, der sich am Ende nicht auflöste, durfte das Leben doch nicht sein. Deswegen bemühen sich die Menschen aller Religionen, sich selbst ein anständiges Leben nach dem Tod in Aussicht zu stellen, ob als gekochter Sünder, als kleiner weißer Vogel oder als unsichtbarer Geist, egal wie, egal als was, Hauptsache, es geht irgendwie weiter.
    Die Angehörigen des christlichen Kulturkreises haben klare Vorstellungen, wie ihr unsterblicher Geist nach dem Tod aussieht. In amerikanischen, europäischen und russischen Filmen wird er immer auf ähnliche Weise dargestellt: Wenn der Held stirbt, tritt sein Geist aus ihm heraus, der dem Verstorbenen verblüffend ähnlich sieht. Er hat dieselbe Größe, dieselbe Figur und sogar die gleichen Klamotten an. Der Geist kann alle sehen und hören, nur ihn selbst sieht keiner. Eine Zeit lang ist er verwirrt und kann nicht begreifen, was passiert ist, aber schnell findet sich der Geist in den Filmen zurecht und nimmt die irdischen Tätigkeiten des Verstorbenen wieder auf. Er will unbedingt endlich mit seiner Witwe über die Liebe reden oder eine wichtige Arbeit, die er zu Lebzeiten immer wieder aufschieben musste, zu Ende bringen. Noch öfter geht der Geist in diesen Filmen auf Rachefeldzug. Er will sich an jenen Menschen rächen, die ihm den Tod brachten, und er nutzt seinen Vorteil, unsichtbar zu sein, um Angst und Schrecken unter seinen Feinden zu verbreiten. Was aber macht der Geist, wenn er mit all seinen Aufgaben fertig ist? Er kann nicht ein zweites Mal sterben, denn er ist bereits tot. In den meisten Filmen geht der Geist ins Licht, wenn er mit allem Irdischen fertig ist. Das Licht symbolisiert ein weiteres, überirdisches Leben in der Sonne, ein All-inclusive-Paradies. Das ist natürlich ein protestantisches Bild der Erlösung. Katholiken können nicht so einfach ins Licht gehen. Sie müssen in der Zeit nach dem Tod und vor dem Himmel in einem speziell dafür eingerichteten Zwischenraum ausharren, wo sie sich innerlich mit ihren Sünden auseinandersetzen, d. h. über all die verpassten Chancen, Gutes zu tun, grübeln und darüber, wie sie ihre kostbare Zeit auf Erden für nichts und wieder nichts verschwendet haben, dem falschen Glitzer hinterherrannten, den Rücken zur Sonne drehten. Alle versäumten Freundschaften, verratenen Liebschaften, verschmähten Kinder, verspeisten Kaninchen und zerdrückten Ameisen sollen sie betrauern und auf die Großzügigkeit des Schöpfers hoffen.
    Das Jüngste Gericht wird in Filmen so gut wie nie dargestellt, weil die Regisseure ihren Zuschauern wahr scheinlich nicht vorzeitig die gute Laune verderben wollen. Im Selbstverständnis des russisch-orthodoxen Christentums kommt niemand sündenfrei davon, denn das ganze Leben ist eine einzige Versuchung, ein pausenloser Kampf mit dem inneren Teufel. Als Grigori Rasputin, ein orthodoxer Wanderprediger und Herzensfreund der letzten russischen Zarin, von der Öffentlichkeit beschuldigt wurde, stark alkoholisiert mit mehreren Damen zusammen die Sauna besucht zu haben, erklärte er der Öffentlichkeit naiv, dies sei sein persönlicher Kampf mit dem Bösen gewesen, er würde auf diese Weise den Teufel in sich herausfordern. Sollte es ihm gelingen, die Damen in der Sauna trotz ihrer Nacktheit nicht anzubaggern, so habe er das Böse besiegt. Auf konkrete Nachfragen der Zeitungen, wie nun der Kampf mit dem Bösen ausgegangen sei, antwortete Rasputin ausweichend: Dies sei ein Kampf auf Lebenszeit, vorläufig stehe es 5 : 8 für den Teufel, aber er sei guter Dinge und festen Glaubens, die Situation in der Teufelssauna zu kippen. Diese Rasputin’sche Sauna ist die russische Hölle und gleichzeitig das russische Paradies. Sie sagt: Lebt! Man muss nicht warten, bis man stirbt, um sein Verhältnis zur Welt zu klären. Zum Teufel mit dem Leben »danach«, lass uns in diesem Leben herumprobieren, fallen, leiden, Buße tun – aber nie aufgeben.

Von Mauern und Zäunen
    Was konnte aus dieser Nacht noch werden außer ein schöner Morgen? Der Horizont färbte sich langsam rosa, während mein Onkel und ich noch immer auf der Straße der Invaliden umhertorkelten, die uns endlos schien. Selbst gesunde Menschen, die einmal auf diese Straße gelangen, können mit der Zeit zu Invaliden werden. Später werden aus Invaliden Veteranen,

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