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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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verdankten. Ich liebte auch die stark riechenden Klebstoffe und Flüssigkeiten, mit denen sie präpariert wurden. Der Geruch von Nelkenöl, Zedernöl, Kanadabalsam und Xylol ist in meiner Vorstellung noch immer mit dem Bild meiner Mutter assoziiert, die sich völlig vertieft über ihr Mikroskop beugt.
    Obwohl meine Eltern beide dem Leiden ihrer Patienten mit großem Mitgefühl begegneten - größer als dem für ihre Kinder, wie ich manchmal fand -, war ihr Ansatz, ihre Einstellung grundverschieden. Mein Vater verbrachte seine Freizeit ausschließlich mit Büchern. Umgeben von biblischen Kommentaren oder gelegentlich auch seinen Lieblingsdichtern aus dem Ersten Weltkrieg, saß er in seiner Bibliothek. Menschen, menschliche Verhaltensweisen, menschliche Mythen und Kulturen, menschliche Sprachen und Religionen nahmen seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Nichtmenschliches, die «Natur», interessierte ihn im Gegensatz zu meiner Mutter kaum. Ich glaube, mein Vater hatte sich für die Medizin entschieden, weil sie von zentraler Bedeutung für die menschliche Gesellschaft ist und weil er sich selbst vor allem in einer sozialen und rituellen Rolle sah. Mein Mutter hingegen wurde wohl Ärztin, weil die Medizin eng mit der Naturgeschichte und Biologie verschwistert ist. Sie konnte die Anatomie und Physiologie des Menschen nicht betrachten, ohne an Parallelen und Vorläufer anderer Primaten, anderer Wirbeltiere zu denken. Das beeinträchtigte jedoch nicht ihre Sorge und ihr Empfinden für den Einzelnen - es stellte ihn einfach in einen größeren Zusammenhang, den der Biologie und Naturwissenschaft im Allgemeinen.
    Ihr Interesse an der Struktur und dem Aufbau der Dinge erstreckte sich in alle Richtungen. Unsere alte Standuhr mit ihren komplizierten Zeigern und Zahnrädern war sehr empfindlich und bedurfte ständiger Pflege. Meine Mutter übernahm dies ganz allein und wurde dabei regelrecht zur Uhrmacherin. Sie erledigte auch andere Arbeiten, die im Haus anfielen, sogar Klempnerarbeiten. Nichts machte ihr mehr Freude, als einen leckenden Wasserhahn zu reparieren oder eine Toilette, mit dem Ergebnis, dass wir die Dienste gelernter Klempner fast nie in Anspruch nehmen mussten.
    Doch ihre schönsten, ihre glücklichsten Stunden verbrachte sie im Garten. Hier fanden ihr Sinn für Struktur und Funktion, ihr ästhetisches Empfinden und die Zartheit ihres Wesens zusammen - Pflanzen waren schließlich Lebewesen, weit wunderbarer, aber auch bedürftiger als Uhren oder Abflussrohre. Als ich Jahre später auf die Formulierung «ein Gefühl für den Organismus» stieß - ein Ausdruck, der gern von der Genetikerin Barbara McClintock verwandt wird -, wurde mir klar, dass er genau auf meine Mutter zutraf, denn dieses Gefühl für den Organismus bildete die Grundlage ihrer Existenz, vom grünen Daumen, den sie im Umgang mit ihrem Garten bewies, bis hin zu dem Erfolg, den sie mit ihren Operationen hatte.
    Meine Mutter liebte den Garten, die hohen Platanen, die ihn zur Exeter Road begrenzten, den Flieder, der ihn im Mai mit seinem Duft erfüllte, und die Kletterrosen, die an seiner Ziegelmauer emporrankten. Sie arbeitete im Garten, wann immer sie konnte, wobei sie eine besondere Vorliebe für die von ihr selbst gepflanzten Obstbäume hegte - einen Quittenbaum, einen Birnbaum, zwei Holzapfelbäume und einen Walnussbaum. Auch Farne liebte sie, die «Blumenbeete» waren fast übersät davon.
    Der Wintergarten am Ende des Salons gehörte zu meinen Lieblingsorten. Hier zog meine Mutter vor dem Krieg ihre empfindlichsten Pflanzen, und als später, nach dem Krieg, den er unbeschadet überstanden hatte, mein eigenes botanisches Interesse erwachte, beteiligte ich mich an seiner Pflege. Ich habe zärtliche Erinnerungen an den wolligen Baumfarn Cibotium , den ich dort 1946 zu ziehen versuchte, und an einen Palmfarn, Zamia , mit Blättern so steif wie Pappe.
    Als mein Neffe Jonathan einige Monate alt war, fand ich im Wohnzimmer einen Stapel Röntgenaufnahmen, auf dem «J. Sacks» stand. Ich begann sie mir anzusehen, zunächst neugierig, dann verblüfft, schließlich entsetzt - denn Jonathan war ein hübsches kleines Baby. Ohne die Röntgenaufnahmen wäre niemand auf die Idee gekommen, dass er schreckliche Missbildungen hatte. Sein Becken, die kleinen Beine - das sah kaum noch menschlich aus.
    Die Röntgenaufnahmen in der Hand, wanderte ich zu meiner Mutter und schüttelte den Kopf. «Armer, kleiner Jonathan…», begann ich.
    Meine Mutter sah mich

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