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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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andere Menschen zu.
     
KAPITEL SIEBEN

CHEMISCHE LUSTBARKEITEN
    Noch vor dem Krieg hatten meine Eltern und meine Brüder mich mit ein bisschen Küchenchemie vertraut gemacht: Sie ließen ein Stück Kreide in ein Glas mit Essig fallen, sodass ich beobachten konnte, wie es sprudelte. Dann gossen sie das schwere Gas, das dabei entstand, wie einen unsichtbaren Wasserfall über eine Kerzenflamme und löschten sie damit auf der Stelle. Oder sie nahmen in Essig eingelegten Rotkohl und fügten ein bisschen Salmiakgeist hinzu, um den Essig zu neutralisieren. Das führte zu einer verblüffenden Wandlung. Der Saft nahm alle möglichen Farben an, von Rot über verschiedene Schattierungen zu Violett und Lila, dann Türkis und Blau, schließlich Grün.
    Als nach dem Krieg mein Interesse an Mineralien und Farben erwachte, lernte ich von meinem Bruder David, der die Methode aus dem Chemieunterricht in der Schule kannte, wie man Kristalle züchtet. Er zeigte mir, wie man eine übersättigte Lösung herstellt, indem man ein Salz wie Alaun oder Kupfersulfat in sehr heißem Wasser auflöst und es dann abkühlen lässt. Um den Prozess in Gang zu setzen, musste ich etwas in die Lösung hängen - einen Faden oder ein Stück Metall. Das erste Mal legte ich einen Wollfaden in eine Kupfersulfatlösung. Schon nach wenigen Stunden hatte sich eine schöne Kette aus tiefblauen Kristallen gebildet, die an dem Faden emporkletterten. Doch als ich eine Alaunlösung und einen geeigneten Keimkristall als Auslöser verwendete, entdeckte ich, dass der Kristall gleichmäßig nach allen Seiten wuchs und zu einem einzigen großen Alaunkristall von regelmäßiger achtflächiger Form wurde.
    Später requirierte ich den Küchentisch, um einen «chemischen Garten» anzulegen. In eine dickflüssige Lösung von Natriumsilikat oder Wasserglas säte ich verschiedenartige Eisen-, Kupfer-, Chrom- und Mangansalze. Das ergab keine Kristalle, sondern ein gewundenes, pflanzenartiges Wachstum im Wasserglas, knospende, ausgreifende, sich entfaltende Formen, die vor meinen Augen fortwährend ihre Gestalt wechselten. [7] Für diese Art von Wachstum, erläuterte David, sei Osmose verantwortlich: die gallertartige Kieselsäure des Wasserglases wirke als «halbdurchlässige Membran», sodass Wasser in die konzentrierte Minerallösung in ihrem Inneren gezogen werden könne. Solche Prozesse seien entscheidend für lebende Organismen, obwohl sie auch in der Erdkruste vorkämen.
    Das erinnerte mich an die gewaltigen Hämatitmassen, knotig und nierenförmig, die ich im Museum gesehen hatte - auf dem Schild hatte Kidney Ore gestanden - «Nierenerz» (im Deutschen «Roter Glaskopf». Dieser Ausdruck hat nichts mit Glas zu tun, sondern lautete ursprünglich in der Bergmannsprache «Glatzkopf». A.d.Ü.), also Hämatit oder Roteisenstein (Marcus hatte mir allerdings einmal erzählt, es handle sich um die versteinerten Nieren von Dinosauriern).
    Mir bereiteten diese Experimente Vergnügen, und ich versuchte auch, mir die Prozesse, die hier stattfanden, zu vergegenwärtigen, doch eine echte chemische Leidenschaft verspürte ich nicht - den Drang, zu verbinden, zu isolieren, zu zerlegen oder zu beobachten, wie sich die Stoffe veränderten, wie vertraute verschwanden und neue an ihrer Stelle entstanden -, bis ich Onkel Daves Labor erblickte und seine Leidenschaft für Experimente aller Art erlebte. Jetzt wollte ich ein eigenes Labor haben - nicht die Laborbank bei Onkel Dave, nicht die Familienküche, sondern einen Ort, an dem ich meine chemischen Experimente für mich allein und ungestört durchführen konnte. Zunächst einmal wünschte ich mir Kobaltglanz und Rotnickelkies, außerdem Verbindungen und Mineralien von Mangan und Molybdän, Uran und Chrom, also all den wunderbaren Elementen, die im 18. Jahrhundert entdeckt worden waren. Ich wollte sie pulverisieren, mit Säure behandeln, rösten, reduzieren - alles, was notwendig war, um ihre Metalle selbst zu extrahieren. Aus dem chemischen Katalog in der Fabrik wusste ich, dass man sie alle auch in gereinigter Form kaufen konnte, aber ich dachte, es müsse weit interessanter und viel aufregender sein, sie selbst herzustellen. Auf diese Weise wollte ich mir einen eigenen Zugang zur Chemie verschaffen, meine Entdeckungen aus eigener Kraft machen, genau so, wie es die ersten Naturforscher taten. Ich wollte die Geschichte der Chemie noch einmal selbst durchleben.
    Daher richtete ich mir zu Hause ein kleines Labor ein. Ich besetzte einen

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