Onkel Wolfram - Erinnerungen
Bezeichnungen. Vug , so erklärte mir Onkel Dave, sei ein Wort, das die Bergleute in den alten Zinnminen Cornwalls verwendet hätten. Es komme von dem kornischen Wort Vooga (Orfouga) , das eine unterirdische Kammer bezeichnet habe. Letztlich leite es sich von lateinisch fovea , Grube, her. Mich faszinierte, dass dieses merkwürdige, hässliche Wort Zeugnis ablegte vom Bergbau im Altertum, von der ersten Kolonisation Englands durch die Römer, die von Cornwalls Zinnminen angelockt wurden. Auch die Bezeichnung für das Zinnerz, Kassiterit, leite sich von den Cassiterides, den «Zinninseln» der Römer her.
Besonders die Namen von Mineralien faszinierten mich ihre Laute, ihre Assoziationen, das Gefühl, das sie für Menschen und Orte vermittelten. Die älteren Namen evozierten das Empfinden von Altertum und Alchimie: Korund und Bleiglanz, Auripigment und Realgar. (Auripigment und Realgar, zwei Arsensulfide, ergaben eine so hübsche Euphonie, dass sie mir wie ein Opernpaar erschienen, wie Tristan und Isolde). Es gab Pyrite (Narrengold) in messingfarbenen, metallischen Würfeln, Chalzedon und Rubin, Saphir und Spinell. Zirkon hörte sich orientalisch an, Kalomel griechisch - seine honigartige Süße, sein zart schmelzendes «Mel» strafte seine Giftigkeit Lügen. Oder die mittelalterlich klingenden Namen - Salmiak, Zinnober, das schwere, rote Quecksilbersulfid, Massikotit und Mennige, die Zwillingsoxide des Bleis.
Ich fand Mineralien, die nach Personen hießen. Eines der häufigsten Mineralien, das großenteils für das Rot unserer Welt verantwortlich ist, das wasserhaltige Eisenoxid, trägt den Namen Goethit. War der Name Goethe zu Ehren gewählt worden, oder hatte der deutsche Dichter das Mineral entdeckt? Ich hatte gelesen, dass er für die Mineralogie und Chemie begeistert war. Viele Mineralien wurden nach Chemikern benannt - Gaylussit, Scheelit, Berzelianit, Bunsenit, Liebigit, Crookesit und Proustit - das schöne prismatische Rotgültigerz. Es gab den Samarskit, der nach dem Bergbauingenieur Oberst Samarski benannt worden ist. Manche Namen riefen aktuellere Assoziationen wach: Stolzit, ein Bleiwolframat, und Scholzit. Wer waren Stolz und Scholz? Ihre Namen klangen in meinen Ohren sehr preußisch, und das weckte so kurz nach dem Krieg antideutsche Gefühle. Ich stellte mir Stolz und Scholz als Nazioffiziere vor, mit schnarrenden Kommandostimmen, Stockdegen und Monokeln.
Andere Namen gefielen mir einfach wegen ihres Klanges oder der Bilder, die sie heraufbeschworen. Ich liebte die klassischen Namen und ihre Bezeichnung einfacher Eigenschaften -Kristallformen, Farben und Optik der Mineralien: Diaspor und Anatas, Mikrolith und Polykras. Eine große Vorliebe hatte ich für den Kryolith - den Eisstein aus Grönland, dessen Brechungsindex so gering ist, dass er fast durchsichtig bleibt, geisterhaft und im Wasser unsichtbar. [5]
Viele Elemente trugen folkloristische oder mythologische Namen, die gelegentlich ein wenig von ihrer Geschichte offenbarten. Ein Kobold war bekanntlich ein böser Elf, ein Nickel ein Teufel; beides waren Bezeichnungen, die die sächsischen Bergleute verwendeten, wenn sich Kobalt- und Nickelerze als trügerisch erwiesen und nicht hielten, was sie versprachen. Tantal verdankte seinen Namen dem Mythos des Tantalus, der in der Hölle damit gequält wurde, dass das Wasser jedes Mal vor ihm zurückwich, wenn er sich hinabbeugte, um davon zu trinken. Das Element habe diesen Namen erhalten, las ich, weil sein Oxid nicht in der Lage war, «Wasser zu trinken», das heißt, sich in Säuren aufzulösen. Niob war nach Tantalus' Tochter Niobe benannt, weil die beiden Elemente stets zusammen gefunden wurden. (Meine Bücher aus den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts nannten noch ein drittes Element, Pelopium, aus dieser Familie - Pelops war der Sohn des Tantalus, den dieser gekocht und den Göttern vorgesetzt hatte. Allerdings stellte sich später heraus, dass Pelopium doch kein Element war.)
Andere Elemente verdankten ihre Bezeichnungen der Astronomie. Da gab es das Uran, das im 18. Jahrhundert entdeckt und nach dem Planeten Uranus benannt worden war; einige Jahre später erhielten Palladium und Zer ihre Namen nach den kurz zuvor entdeckten Asteroiden Pallas und Ceres. Tellur hatte diesen schönen, erdhaften griechischen Namen bekommen, und es war nur konsequent, dass der leichtere Vetter, als er später gefunden wurde, auf den Namen Selen getauft wurde, nach dem Mond. [6]
Begeistert las ich von den
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