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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Luft gefüllt, auf dem Gas schwebte. Die Feuerlöscher in unserem Haus waren mit Kohlendioxid gefüllt, daher zapfte ich sie gelegentlich an und versorgte mich mit dem Gas.
    Als ich einmal einen Ballon mit Kohlendioxid füllte, sank er wie ein Stein auf den Fußboden und blieb dort liegen. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, wenn man einen Ballon mit einem wirklich dichten Gas füllen würde, Xenon zum Beispiel (fünfmal so dicht wie die Luft). Als ich es Onkel Wolfram gegenüber erwähnte, erzählte er mir von einer Wolframverbindung - Wolframhexafluorid -, die fast zwölfmal so dicht sei wie die Luft; das schwerste Gas, das man kenne, sagte er. Ich träumte davon, ein Gas zu entdecken oder herzustellen, das so schwer wäre wie Wasser, in dem man dann schwimmen und schweben könnte wie in Wasser. Schwimmen und Schweben - Schweben und Sinken hatten etwas, das mich stets erregte und beflügelte. [19]
    Ich war hingerissen von den riesigen Sperrballons, die während des Krieges über London schwebten und mit ihren plumpen heliumgefüllten Leibern und dreigeteilten Schwänzen aussahen wie riesige himmlische Sonnenfische. Sie bestanden aus aluminisiertem Gewebe, daher erstrahlten sie in hellem Glanz, wenn die Sonne sie erfasste. Sie waren mit langen Trossen am Boden vertäut, in denen sich (wie man hoffte) feindliche Flugzeuge verfangen würden, wenn sie zu niedrig flogen. Die Ballons waren unsere riesigen Schutzschilde. Einen dieser Ballons hatte man in unserem Cricketfeld in der Lymington Road verankert, so wurde er das Objekt meiner ganz besonderen, leidenschaftlichen Aufmerksamkeit. Wenn niemand darauf achtete, schlich ich mich hin und fuhr mit zarter Hand über das leicht gewölbte, glänzende Gewebe. Auf dem Boden wirkten die Ballons nur halb gefüllt, doch wenn sie die richtige Höhe in der Luft erreichten, dehnte sich das Helium in ihrem Inneren aus und sie schwollen zu praller Form an. Ich genoss es, die riesigen Ballons zu berühren, ein zweifellos halb erotisches Gefühl, was mir damals jedoch nicht bewußt war. Nachts träumte ich häufig von den Sperrballons. Ich sah mich friedlich an ihre riesigen, weichen Leiber geschmiegt, schwebend, der Welt enthoben und ihren engen Verhältnissen in zeitloser himmlischer Ekstase weit entrückt. Ich glaube, jeder war stolz auf die Ballons - ihr Aufwärtsdrang stand für Optimismus und ließ die Herzen höher schlagen -, aber für mich war der Ballon in der Lymington Road noch etwas ganz Besonderes: Er erkannte meine Berührung, bildete ich mir ein, und reagierte auf sie, erzitterte (wie ich) in einer Art Beseligung. Er war kein Mensch, kein Tier, und doch irgendwie beseelt mein erstes Liebesobjekt, der Vorbote, als ich zehn Jahre alt war.
     
KAPITEL ELF

HUMPHRY DAVY: POET UND CHEMIKER
    Ich glaube, zum ersten Mal hörte ich Humphry Davys Namen kurz vor dem Krieg. Meine Mutter führte mich im Science Museum in das oberste Stockwerk, wo das Modell einer Kohlenmine aufgebaut stand, düstere Stollen, die von schwachen Lampen erhellt wurden. Dort erklärte sie mir die Davy-Sicherheitslampe es gab mehrere Modelle von ihr -, wie sie funktionierte und auf welche Weise sie schon zahllose Leben gerettet hatte. Und dann zeigte sie mir, gleich daneben, die Landau-Lampe, die ihr Vater in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte - im Prinzip eine findige Weiterentwicklung der Grubenlampe von Davy. So wurde Davy in meiner Vorstellung zu einer Art Vorfahr, fast einem Mitglied der Familie.
    Davy wurde 1778 geboren und wuchs parallel zu den Anfangen von Lavoisiers Revolution auf. Es war ein Zeitalter der Entdeckungen, das Zeitalter, in dem die Chemie flügge wurde auch das Zeitalter, in dem sich die großen theoretischen Umrisse abzuzeichnen begannen. Davy war der Sohn eines Handwerkers und wurde in Penzance bei einem Apotheker und Bader in die Lehre gegeben, doch er empfand diese Tätigkeit schon bald als unbefriedigend. Vor allem die Chemie fing an ihn zu interessieren. Er las und verstand Lavoisiers Elemente der Chemie - eine bemerkenswerte Leistung für einen Achtzehnjährigen mit geringer Schulbildung. Große (vielleicht etwas zu groß geratene) Visionen ergriffen ihn: Würde er vielleicht der neue Lavoisier, der neue Newton werden? (Eines seiner Notizbücher aus dieser Zeit trug den Titel «Newton und Davy».)
    Mit seinem Wärmekonzept - dem «Wärmestoff» - hatte Lavoisier einen geisterhaften Restbestand des Phlogiston gelassen. Gleich in seinem ersten,

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