Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
Vom Netzwerk:
die Entwicklung einer schlüssigen Verbrennungstheorie - standen in organischer Beziehung zueinander, bildeten ein einziges wunderbares Gebäude, eine revolutionäre Neuordnung der Chemie, also genau das, wovon er 1773 so ehrgeizig geträumt hatte. Es war kein leichter und bequemer Weg, der zu dieser Revolution führte, obwohl Lavoisier ihn in den Elementen der Chemie als nahe liegend und selbstverständlich hinstellt. Fünfzehn Jahre lang musste sich dieser geniale Kopf mit den Vorurteilen seiner Zeit, den Labyrinthen des Irrglaubens, mit der eigenen und der Blindheit aller anderen herumschlagen.
    Es hatte heftige Auseinandersetzungen und Konflikte gegeben in den Jahren, in denen Lavoisier seine Munition langsam zusammentrug, doch als die Elemente endlich erschienen - im Jahr 1789, drei Monate vor der Französischen Revolution -, eroberten sie die wissenschaftliche Welt wie im Sturm. Sie bildeten ein Gedankengebäude vollkommen neuer Art, nur noch vergleichbar mit Newtons Principia . Es gab nur wenige Gegner darunter Cavendish und Priestley die namhaftesten -, sodass Lavoisier 1791 sagen konnte: «Alle jungen Chemiker haben sich die Theorie zu Eigen gemacht, daraus darf ich schließen, dass die Revolution in der Chemie stattgefunden hat.»
    Drei Jahre später endete Lavoisiers Leben in der Blüte seiner Jahre und auf der Höhe seiner wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit unter der Guillotine. Der bedeutende Mathematiker Lagrange beklagte den Tod seines Kollegen und Freundes mit den Worten: «Es bedurfte nur eines Augenblickes, um seinen Kopf abzutrennen, aber möglicherweise reichen hundert Jahre nicht hin, bis ein gleicher wieder wächst.»
    Meine Lektüre über Lavoisier und die «pneumatischen» Chemiker vor ihm regte mich zu weiteren Experimenten mit der Erhitzung von Metallen und auch zur Herstellung von Sauerstoff an. Ich wollte ihn durch die Erwärmung von Quecksilberoxid gewinnen - wie Priestley es 1774 erstmals gemacht hatte -, doch vor dem Einbau des Abzugschrankes fürchtete ich die giftigen Quecksilberdämpfe zu sehr. Immerhin konnte man ihn ganz leicht dadurch gewinnen, dass man einen sauerstoffreichen Stoff wie Wasserstoffperoxid oder Kaliumpermanganat erwärmte. Ich weiß noch, wie das glühende Holzstück, das ich in ein Reagenzglas voll Sauerstoff warf, aufflammte und in einem intensiven Glanz erstrahlte.
    Ich gewann auch andere Gase. So zerlegte ich Wasser mittels Elektrolyse und stellte es anschließend durch die explosionsartige Verbrennung von Wasserstoff und Sauerstoff wieder her. Wasserstoff ließ sich noch auf viele andere Arten gewinnen, durch Säuren oder Alkalien - mit Zink und Schwefelsäure oder Flaschenkapseln aus Aluminium und Ätznatron. Ich fand es schade, dass dieser Wasserstoff einfach vor sich hin sprudelte und verloren ging, daher besorgte ich mir für meine Erlenmeyerkolben dicht schließende Gummistöpsel und Korken, einige mit Löchern in der Mitte für Glasröhrchen. In Onkel Daves Labor hatte ich gelernt, Glasröhrchen in einer Gasflamme weich zu machen, sodass man sie vorsichtig umbiegen konnte (und, was noch aufregender war, auch Glas zu blasen, wobei man vorsichtig in das geschmolzene Glas blies und auf diese Weise dünnwandige Kugeln und andere Formen herausbildete). Mit Hilfe der Glasröhrchen konnte ich nun den Wasserstoff entzünden, wenn er aus dem verschlossenen Kolben ausströmte. Er brannte mit farbloser Flamme - nicht gelb und rauchig wie die Flammen der Gasbrenner unseres Küchenherds. Oder ich leitete den Wasserstoff durch ein anmutig gebogenes Röhrchen in eine Seifenlösung, sodass sich Seifenblasen voll Wasserstoff bildeten und, da sie ungemein leichter waren als Luft, rasch zur Decke aufstiegen und zerplatzten.
    Gelegentlich sammelte ich den Wasserstoff über der Wasseroberfläche in einer umgedrehten pneumatischen Wanne. Wenn ich die weiterhin umgedrehte Wanne über meine Nase hielt, konnte ich den Wasserstoff einatmen. Er hatte keinen Geruch, keinen Geschmack, löste überhaupt keine Sinnesempfindung aus, doch meine Stimme klang für einige Sekunden hoch und quiekend, eine Mickymaus-Stimme, die ich nicht länger als meine eigene erkannte.
    Ich goss Salzsäure über Kreide (obwohl es auch eine schwache Säure wie Essig getan hätte), was ein anderes, viel schwereres Gas, nämlich Kohlendioxid, emporsprudeln ließ. Ich konnte das schwere, unsichtbare Kohlendioxid in einem Becherglas auffangen und beobachten, wie ein winziger Ballon, mit der viel leichteren

Weitere Kostenlose Bücher