Onkel Wolfram - Erinnerungen
Elektrizität zu erzeugen? Bemerkenswerterweise brauchte er mehrere Jahre, um diese Frage zu beantworten; die Antwort war alles andere als einfach. [36] Ein Dauermagnet, der in eine Drahtspule eingebracht wurde, erzeugte keine Elektrizität. Man musste den Stabmagneten hinein- und herausbewegen, nur dann wurde ein Strom erzeugt. Das erscheint uns heute selbstverständlich, weil wir mit Dynamos und ihrer Arbeitsweise vertraut sind. Doch damals gab es keinen Grund zu der Annahme, dass Bewegung erforderlich sei. Schließlich stand ja auch eine Volta'sche Batterie oder eine Leidener Flasche einfach auf dem Tisch. Selbst ein Genie wie Faraday brauchte zehn Jahre für den geistigen Sprung, der ihn von den Vorstellungen seiner Zeit befreite und auf eine neue Erkenntnisebene beförderte - eben dass der Magnet sich bewegen musste, um Elektrizität zu erzeugen, dass die Bewegung also das Entscheidende war. (Faraday dachte, Bewegung erzeuge Elektrizität, indem sie die magnetischen Kraftlinien durchschneide.) Faradays bewegter Magnet war der erste Dynamo der Welt - die Umkehrung des Elektromotors. Merkwürdigerweise fanden diese beiden etwa gleichzeitigen Erfindungen von Faraday, der Elektromotor und der Dynamo, eine höchst unterschiedliche Aufnahme. Elektromotoren stießen fast sofort auf Interesse und wurden in großem Umfang gebaut, sodass es bereits 1839 batteriebetriebene elektrische Flussschiffe gab, während die Dynamos weit mehr Zeit brauchten, um sich durchzusetzen. Sie fanden erst in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts Verbreitung - bei Einführung des elektrischen Lichts und elektrischer Züge. Jetzt brauchte man Elektrizität in großen Mengen und ein geeignetes Verteilungssystem. So etwas wie diese riesigen, summenden Dynamos, die eine geheimnisvolle und unsichtbare neue Energie aus dem Nichts zauberten, hatte die Welt noch nicht gesehen. Ehrfürchtig wurden die ersten Kraftwerke mit ihren großen Dynamos bestaunt. (Das regte H. G. Wells zu seiner frühen Kurzgeschichte «The Lord of Dynamos» an, in der für den naiven Helden der riesige Dynamo, um den er sich kümmert, zu einem Gott wird, der Menschenopfer verlangt.)
Meine Großeltern Marcus und Chaya Landau mit ihren dreizehn Kindern im Garten ihres Hauses in Highbury New Park (1902). Stehend von links: Mick, Violet, Isaac, Abe, Dora, Sydney, Annie. Sitzend: Dave, Elsie (meine Mutter), Len, Großvater und Großmutter, Birdie. Vorne: Joe und Doogie.
Auf dem Schoß meiner Mutter, Ende 1933, mit Marcus, David, Pop und Michael.
Als dreijähriger Junge vor dem Krieg.
Alle zusammen auf unserer letzten Bootstour vor dem Krieg, im August 1939, in der Nähe von Bournemouth: David, Pop, Michael, Ma, ich und Marcus.
Zu Besuch aus Braefield im Winter 1940: Pop, ich, Ma, Michael und David (Marcus, der Älteste, ging bereits auf die Universität).
Mit meinen Wölflings-Kameraden, The Hall 1943.
1946, mein Bar-Mizwa-Foto, aufgenommen vor dem Elternhaus.
Onkel Dave (links) und Onkel Abe 1938 während eines Betriebsausflugs von Tungstalite.
Tante Len, nach dem Krieg in Delamere.
Tante Birdie.
Wie Faraday begann ich überall «Kraftlinien» zu sehen. Ich hatte bereits eine batteriegespeiste Vorder- und Rücklampe an meinem Fahrrad, nun legte ich mir noch dynamobetriebene Leuchten zu. Wenn der kleine Dynamo an meinem Hinterrad surrte, sah ich manchmal vor meinem geistigen Auge die magnetischen Kraftlinien von seinem Surren durchschnitten und dachte an die geheimnisvolle, fundamentale Bedeutung der Bewegung.
Magnetismus und Elektrizität hatte man zunächst für vollkommen unabhängig gehalten, nun schienen sie durch die Bewegung irgendwie verbunden zu sein. Hier wendete ich mich an meinen «Physikonkel», Onkel Abe, der mir erzählte, die Beziehung zwischen Elektrizität und Magnetismus (und die Beziehung beider zum Licht) habe der große schottische Physiker Clerk Maxwell geklärt. [37] Ein bewegtes elektrisches Feld erzeuge ein magnetisches Feld in seiner Umgebung, dies erzeuge ein zweites elektrisches Feld, dieses seinerseits ein weiteres Magnetfeld und so fort. Durch die fast gleichzeitigen wechselseitigen Induktionen entstehe, so Maxwell, ein kombiniertes elektromagnetisches Feld in außerordentlich rascher Schwingung, das sich in alle Richtungen ausdehne und sich als Wellenbewegung im Raum ausbreite. 1865 errechnete Maxwell für ein solches Feld eine Ausbreitungsgeschwindigkeit von 300 000 Kilometern pro Sekunde - der Geschwindigkeit des Lichts
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