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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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zusah, wie der Sauerstoff an die eine Elektrode wanderte und der Wasserstoff an die andere. Die Elektrizität einer l-Volt-Zelle schien sehr gering zu sein und genügte doch, um eine chemische Verbindung zu trennen, Wasser oder, noch spektakulärer, Salz in seine extrem aktiven Bestandteile zu zerlegen.
    Die Elektrolyse konnte erst nach Erfindung der Volta'schen Säule entdeckt werden, denn die stärksten Elektrisiermaschinen oder Leidener Flaschen waren völlig unfähig, eine chemische Zerlegung zu bewirken. Wie Faraday später ausrechnete, hätte man die gesammelte Ladung von 800000 Leidener Flaschen oder die Energie eines Blitzes gebraucht, um einen einzigen Wassertropfen zu zerlegen, etwas, was eine winzige und einfache 1-Volt-Zelle schaffte. (Andererseits konnte meine 1-Volt-Zelle, und noch nicht einmal die Achtzig-Zellen-Batterie, die Marcus mir in unserem Kofferradio gezeigt hatte, weder ein Kügelchen aus Holundermark noch ein Elektroskop bewegen.) Statische Elektrizität konnte enorme Funken und außerordentlich hohe Ladungen erzeugen (eine Wimshurstmaschine brachte 100 000 Volt hervor), aber nur eine sehr geringe Stromstärke, zumindest für die Elektrolyse. Das Gegenteil galt für eine chemische Zelle, sie hatte eine hohe Stromstärke, jedoch eine geringe Spannung.
    Wenn die elektrische Batterie mich mit der unauflöslichen Beziehung zwischen Elektrizität und Chemie vertraut machte, dann führte mir die elektrische Klingel die untrennbare Beziehung zwischen Elektrizität und Magnetismus vor Augen - eine Beziehung, die keineswegs selbstverständlich ist oder auf der Hand liegt; immerhin wurde sie erst in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts entdeckt.
    Ich hatte gesehen, dass schon ein geringfügiger elektrischer Strom einen Draht erwärmen, einen elektrischen Schlag versetzen oder eine Lösung zerlegen konnte. Aber wie schaffte er es, die oszillierende Bewegung, das rasche Schlagen einer elektrischen Klingel zu erreichen? Von der Eingangstür führten Kabel zur Klingel, der Stromkreis wurde geschlossen, wenn draußen jemand auf den Klingelknopf drückte. Eines Abends, als meine Eltern ausgegangen waren, beschloss ich, den Kreis zu umgehen und die Drähte so zu verbinden, dass ich die Klingel direkt betätigen konnte. Sobald ich den Strom einschaltete, sprang der Klingelklöppel in Bewegung und schlug auf die Klingel. Was ließ ihn springen, wenn der Strom floss? Ich sah, dass der Klöppel aus Eisen bestand und mit Kupferdraht umwickelt war. Diese Spule wurde magnetisiert, wenn ein Strom hindurchfloss, dadurch wurde der Hammer von dem Eisensockel der Klingel angezogen (sobald er auf die Klingel traf, wurde der Stromkreis unterbrochen, woraufhin der Klöppel wieder in seine ursprüngliche Position zurückfiel). Ich fand das höchst ungewöhnlich: Zwar besaß ich Stab- und Hufeisenmagneten, aber hier zeigte sich der Magnetismus nur, wenn ein Strom durch die Spule floss, und er verschwand, sobald der Strom abgeschaltet wurde.
    Es war die Empfindlichkeit, die Reaktionsbereitschaft von Kompassnadeln, die einen ersten Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Elektrizität und Magnetismus lieferte. Schon lange wusste man, dass eine Kompassnadel in einem Gewitter ausschlagen oder entmagnetisiert werden konnte, und 1820 wurde beobachtet, dass sich eine Kompassnadel plötzlich bewegte, wenn in der Nähe des Kompasses ein Strom durch einen Draht floss. War der Strom stark genug, wurde die Nadel unter Umständen um neunzig Grad abgelenkt. Hielt man den Kompass über den Draht statt darunter, zeigte die Nadel in die entgegengesetzte Richtung. Es hatte den Anschein, als beschreibe die magnetische Kraft Kreise um den Draht. [35]
    Eine solche kreisförmige Bewegung magnetischer Kräfte ließ sich leicht sichtbar machen, indem man einen Magneten senkrecht in eine Schüssel mit Quecksilber tauchte, wobei ein lose herabhängender Draht gerade eben das Quecksilber berührte, während in einer zweiten Schale der Magnet beweglich und der Draht fixiert blieb. Wenn nun ein Strom floss, rutschte der lose herabhängende Draht in Kreisen um den Magneten, während der lose Magnet in entgegengesetzter Richtung um den fixierten Draht rotierte.
    Faraday, der diesen Apparat 1821 konstruiert hat - also praktisch den ersten Elektromotor der Welt -, fragte sich sogleich, ob der Prozess sich nicht auch umkehren lasse: Wenn Elektrizität so leicht Magnetismus hervorrufen konnte, war dann die magnetische Kraft möglicherweise in der Lage,

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