Onkel Wolfram - Erinnerungen
stundenlang im Dunkeln nachleuchteten, wenn sie zuvor von Tageslicht beschienen worden waren. Dieser «Bologneser Phosphor», wie man ihn nannte, war Bariumsulfid, das durch Reduktion des Minerals Schwerspat entstanden war. Kalziumsulfid ließ sich leichter herstellen - man brauchte nur Austernschalen mit Schwefel zu erwärmen -, und dies, mit verschiedenen Metallen «dotiert», bildete die Grundlage von Balmain's Luminous Paint. (Diese Metalle, so erzählte mir Abe, würden das Kalziumsulfid «aktivieren» und ihm zugleich verschiedene Farben verleihen. Vollkommen reines Kalziumsulfid leuchtete paradoxerweise nicht.)
Während einige Substanzen in der Dunkelheit langsam Licht abgaben, nachdem sie dem Tageslicht ausgesetzt worden waren, leuchteten andere nur, während sie bestrahlt wurden. Das war die Fluoreszenz (nach dem Mineral Fluorit, das diese Lichterscheinung häufig zeigt). Ursprünglich war diese seltsame Leuchtkraft bereits im 16. Jahrhundert entdeckt worden, als man feststellte, dass ein schräger Lichtstrahl, der durch Tinkturen bestimmter Hölzer geleitet wurde, einen farbigen Schimmer auf seinem Weg zurückließ - Newton hatte dies «innerer Reflexion» zugeschrieben. Mein Vater führte es gern an Chininwasser -Tonic - vor, das bei Tageslicht eine schwache Blaufärbung und unter ultraviolettem Licht ein strahlendes Türkis aufwies. Doch egal, ob ein Stoff fluoreszierend oder phosphoreszierend war (viele waren beides), die Lumineszenz ließ sich nur mit blauem oder violettem Licht oder mit Tageslicht hervorrufen (in dem Licht aller Wellenlängen vertreten war) - rotes Licht war ohne jeden Nutzen. Die wirksamste Beleuchtung war unsichtbar - das ultraviolette Licht, das jenseits des violetten Endes des sichtbaren Spektrums liegt.
Meine ersten Erfahrungen mit Fluoreszenz vermittelte mir die UV-Lampe, die mein Vater in der Praxis hatte: eine Quecksilberdampflampe mit einem Metallreflektor, die ein dunkles, bläulich violettes Licht und unsichtbare ultraviolette Strahlen erzeugte. Man verwendete sie zur Diagnose mancher Hautkrankheiten (bestimmte Pilze fluoreszierten in ihrem Licht) und zur Behandlung anderer - wobei meine Brüder sie auch zur Bräunung benutzten.
Diese unsichtbaren ultravioletten Strahlen waren ziemlich gefährlich - man konnte sich ernsthafte Verbrennungen zuziehen, wenn man zu lange unter der Lampe saß, und man musste eine Art Fliegerbrille aufsetzen, die ganz aus Leder und Wolle bestand und dicke Gläser aus Spezialglas hatte, die den größten Teil der ultravioletten (aber auch der sichtbaren) Lichtstrahlen abfingen. Selbst mit der Brille durfte man nicht direkt in die Lampe schauen, weil man sonst ein merkwürdiges, verschwommenes Leuchten sah, das auf die Fluoreszenz in den Augäpfeln zurückging. Betrachtete man andere Menschen, die sich in dem ultravioletten Licht aufhielten, sah man ihre Zähne und Augen strahlend weiß leuchten.
Onkel Abes Haus lag nur wenige Schritte von dem unseren entfernt und war ein magischer Ort, mit allen möglichen Apparaten ausgestattet: Geissler-Röhren, Elektromagneten, Elektrisiermaschinen und Elektromotoren, Batterien, Dynamos, Drahtspulen, Röntgenröhren, Geigerzählern und einer Vielzahl von Teleskopen, von denen er viele eigenhändig gebaut hatte. Manchmal, besonders an den Wochenenden, nahm er mich mit in sein Labor auf dem Dachboden. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass ich mit den Geräten umgehen konnte, ließ er mir freie Hand mit den phosphoreszierenden und fluoreszierenden Stoffen und der kleinen UV-Handlampe von Wood's, die er verwendete (sie war viel leichter zu handhaben als die alte Quecksilberdampflampe, die wir zu Hause hatten).
Auf seinem Dachboden hatte Abe ganze Regale voll mit Leuchtstoffen, die er mischen konnte wie ein Maler seine Farben - das tiefe Blau des Kalziumwolframats, das blassere Blau des Magnesiumwolframats, das Rot der Yttriumverbindungen. Wie die Phosphoreszenz ließ sich die Fluoreszenz häufig durch «Dotierung» hervorrufen, durch die Zugabe von Aktivatoren (Luminogenen) verschiedener Art. Hierauf konzentrierte sich Abes Forschungsinteresse, denn die technische Entwicklung des fluoreszierenden Lichtes setzte gerade ein, und man suchte nach geeigneten Leuchtstoffen, die ein sichtbares Licht erzeugten, das weich, warm und angenehm für das Auge war. [54] Besonders intensiv beschäftigte sich Abe mit den sehr reinen und zarten Farben, die man dadurch herstellte, dass man verschiedene seltene Erden als
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