Onkel Wolfram - Erinnerungen
Leuchtkraft, denn eine solche Phosphorlösung leuchtete auch noch bei einer Konzentration von eins zu einer Million. Man konnte sich ein bisschen davon auf Gesicht oder Hände reiben, dann verströmte man im Dunkeln ein geisterhaftes Leuchten. Es war kein gleich bleibendes Leuchten, sondern schien (wie Boyle es formulierte) «starken Schwankungen unterworfen zu sein… und manchmal plötzlich aufzuflackern».
1669 gelang es Heinrich Brand in Hamburg zum ersten Mal, dieses wundersame Element zu gewinnen. Er destillierte es aus Urin (offenbar mit alchimistischen Absichten) und war fasziniert von der seltsamen leuchtenden Substanz, die er da isoliert hatte. Er nannte sie kaltes Feuer oder liebevoll mein Feuer .
Brand ging ziemlich sorglos mit seinem neuen Element um und war offenbar überrascht, als er seine Gefährlichkeit entdeckte, denn am 30. April 1679 schrieb er an Leibniz:
Als ich in diesen Tagen etwas von eben demselben in der Hand hielt und nicht mehr tat, als es mit meinem Atem anzublasen, entzündete es sich von allein, so wahr mir Gott helfe; die Haut meiner Hand verbrannte und wurde hart wie Stein, sodass meine Kinder schrien und riefen, es sei schrecklich anzuschauen gewesen.
Doch obwohl sich alle frühen Forscher schwere Verbrennungen mit Phosphor zuzogen, sahen sie in ihm zugleich eine magische Substanz, versehen mit der Leuchtkraft des Glühwürmchens, vielleicht des Mondes, einem Geheimnis, einem unerklärlichen eigenen Glanz. Leibniz fragte sich in seiner Korrespondenz mit Brand, ob sich das Glühen des Phosphors nicht zur nächtlichen Beleuchtung von Innenräumen nutzen ließe (damit sei, so Onkel Abe, möglicherweise zum ersten Mal vorgeschlagen worden, kaltes Licht für Beleuchtungszwecke zu nutzen).
Niemand war davon faszinierter als Boyle, der sich mit der Lumineszenz des Phosphors eingehend beschäftigte - unter anderem der Tatsache, dass sie auf Luft angewiesen oder merkwürdigen Schwankungen unterworfen war. Boyle hatte bereits eingehende Untersuchungen über «Leuchterscheinungen» angestellt, von Glühwürmchen über phosphoreszierendes Holz bis hin zu verdorbenem Fleisch, und dieses «kalte» Licht sorgfältig mit dem glühender Kohlen verglichen (wobei er festgestellt hatte, dass beide Erscheinungen nicht ohne Luft auskamen).
Einmal wurde Boyle von seinem erschreckten und verblüfften Diener aus seinem Schlafzimmer gerufen, weil der in der Speisekammer Fleisch entdeckt hatte, das hell leuchtete. Fasziniert zog Boyle sich an und machte sich sogleich an die Untersuchung, die in einen hübschen Aufsatz mündete: «Some Observations about Shining Flesh, both of Veal and Pullet, and that without any sensible Putrefaction in those Bodies» (Einige Bemerkungen über leuchtendes Fleisch vom Kalb und Hühnchen, und das ohne merkliche Fäulnis in diesen Geweben). Das Leuchten wurde vermutlich von lumineszierenden Bakterien hervorgerufen, doch von solchen Organismen ahnte man zu Boyles Zeiten noch nichts.
Auch Onkel Abe interessierte sich für diese chemische Lumineszenz. Als junger Mann hatte er viele derartige Experimente vorgenommen, auch mit Luciferinen, den Licht erzeugenden chemischen Stoffen, die in lumineszierenden Organismen vorkommen. Er hatte sich gefragt, wie man sie praktisch verwerten könne, um eine wirklich strahlende Leuchtfarbe herzustellen. Das chemische Leuchten konnte in der Tat einen erstaunlichen Glanz entfalten, hatte nur den Nachteil, dass es von vorübergehender, flüchtiger Natur war, und verschwand, sobald die Reaktionsteilnehmer aufgebraucht waren - wenn nicht (wie bei den Glühwürmchen) eine ständige Produktion lumineszierender Stoffe stattfand. Wenn die Chemie keine Antwort lieferte, brauchte man eine andere Form von Energie, etwas, was sich in sichtbares Licht umwandeln ließ.
Abes Interesse an der Lumineszenz war in seiner Jugend durch die Leuchtfarbe angeregt worden, die im Haus seiner Eltern in der Leman Street verwendet wurde - Balmain's Luminous Paint hieß sie -, um Schlüssellöcher, Gas- und elektrische Schalter zu markieren, sodass man sie auch im Dunkeln finden konnte. Abe fand diese leuchtenden Schlüssellöcher und Schalter wunderbar, wie sie noch Stunden, nachdem sie dem Licht ausgesetzt gewesen waren, sanft vor sich hin leuchteten. Dieses Leuchten, Phosphoreszenz genannt, war im 17. Jahrhundert von einem Schuhmacher in Bologna entdeckt worden, der Kieselsteine gesammelt, sie mit Holzkohle erhitzt und dann beobachtet hatte, dass sie noch
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