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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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der zwanziger Jahre eine sichere und effektive Methode zur «Mattierung» von Glühlampen mit Flusssäure gefunden - und auch die entsprechenden Maschinen für das Werk in Hoxton entwickelt.
    Auch an der Verwendung von «Gettern» in Vakuumröhren hatte er mitgearbeitet - reaktionsfreudigen, sauerstoffgierigen Metallen wie Zäsium und Barium, die die letzten Luftreste aus einer Vakuumröhre entfernten. In früheren Jahren hatte er die Verwendung von Hertzit, sein synthetisches Kristall, für Kristallradios patentieren lassen.
    Auch eine Leuchtfarbe hatte er entwickelt und patentieren lassen, sie war im Ersten Weltkrieg für Zielvorrichtungen von Geschützen verwendet worden (möglicherweise sei sie in der Skagerrakschlacht von entscheidender Bedeutung gewesen, erzählte er mir). Seine Farbe wurde auch für die Zifferblätter von Ingersoll-Uhren verwendet. Wie Onkel Dave hatte er große, kräftige Hände, doch während Onkel Daves Hände von Wolfram zerschrammt zu sein schienen, waren Onkel Abes von Radiumverbrennungen und bösartigen Warzen geschunden, die von seinem langen, sorglosen Umgang mit radioaktiven Stoffen zeugten.
    Wie ihr Vater waren Onkel Dave und Onkel Abe sehr an Licht und Beleuchtung interessiert, doch während es bei Dave «heißes» Licht war, ging es Abe um «kaltes» Licht. Onkel Dave hatte mich mit der Geschichte des Glühlichts bekannt gemacht. Mit den seltenen Erden und den Metallfäden, die glühten und hell leuchteten, wenn sie erhitzt wurden. Er hatte mir die Energetik chemischer Reaktionen nahe gebracht - wie in ihrem Verlauf Wärme absorbiert oder emittiert wird, eine Wärme, die manchmal so sichtbar wird wie Feuer und Flammen.
    Onkel Abe hatte mir die Geschichte des «kalten» Lichts - der Lumineszenz - nahe gebracht, eine Geschichte, die möglicherweise begann, bevor es eine Sprache gab, um Ereignisse aufzuzeichnen; die mit Glühwürmchen und phosphoreszierenden Ozeanen begann, mit Irrlichtern, diesen merkwürdigen, wandernden, fahlen Lichterscheinungen, die der Legende nach Reisende in ihren Untergang locken. Und mit dem Elmsfeuer, diesen unheimlichen leuchtenden Entladungen, die sich bei Gewitter an Schiffsmasten zeigten und den Seeleuten das Gefühl gaben, sie seien verhext. Weiter gab es das Polarlicht im Norden und im Süden mit seinen Farbvorhängen, die am Himmel schimmerten. Diese kalten Lichterscheinungen hatten etwas Unheimliches, Geheimnisvolles - ganz anders als die tröstliche Vertrautheit von Feuer und warmem Licht.
    Es gab sogar ein Element, Phosphor, das spontan leuchtete. Phosphor übte durch seine Leuchtkraft eine seltsame, gefährliche Anziehung auf mich aus. Manchmal schlich ich mich nachts in mein Labor, um mit diesem Stoff zu experimentieren. Sobald ich meinen Abzugschrank eingeschaltet hatte, legte ich ein Stück weißen Phosphor ins Wasser und brachte es zum Sieden, wobei ich das Licht herunterdrehte, damit ich den sacht blaugrün leuchtenden Dampf aus den Glaskolben kommen sah. Ein anderes sehr hübsches Experiment bestand darin, Phosphor mit Ätzkali in einer Retorte zum Sieden zu bringen ich hatte bemerkenswert wenig Bedenken, derart bösartige Substanzen zu kochen -, woraus Phosphorwasserstoff (der alte Begriff) oder Phosphin entstand. Wenn die Phosphinblasen entwichen, fingen sie spontan Feuer und bildeten schöne weiße Rauchringe.
    Ich konnte Phosphor (mit Hilfe einer Lupe) in einem Uhrglas entzünden, woraufhin sich das Glas mit einem «Schnee» aus Phosphorpentoxid füllte. Wenn dies über Wasser geschah, zischte das Pentoxid wie rotglühendes Eisen, sobald es das Wasser berührte, und löste sich auf; das Ergebnis war Phosphorsäure. Durch Erhitzen von weißem Phosphor konnte ich ihn in sein Allotrop verwandeln, den roten Phosphor der Zündhölzer. [52] Als Kleinkind hatte man mir erzählt, dass Diamant und Graphit verschiedene Formen, Allotrope, des gleichen Elements seien. Jetzt konnte ich im Labor einige dieser Verwandlungen selbst bewirken, etwa indem ich weißen Phosphor in roten verwandelte und dann (durch Kondensierung seines Dampfes) wieder in weißen zurück. Bei solchen Transformationen kam ich mir vor wie ein Zauberkünstler. [53]
    Vor allem aber die Leuchtkraft des Phosphors zog mich immer wieder an. Ein bisschen davon ließ sich leicht in Nelken- oder Zimtöl oder auch Alkohol auflösen (wie Boyle es getan hatte) - das beseitigte nicht nur seinen knoblauchähnlichen Geruch, sondern ermöglichte auch ein sicheres Experimentieren mit seiner

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