Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
für ein Clou! Vor seinem geistigen Ohr hörte er schon sein eigenes Outing im Tre tigli . »So, Sportsfreunde. Achtung, Achtung. Ich glaub’, ich werd’ Waldfee. Jawoll, Kam’raden: Mich hat der Flamingo gebracht. Öff, öff.« Und dann EPs Reaktion, so was wie: »ßaaaaaa! Eröffnet dies nicht neue Berufsfelder? Modeschöpfer? Bürgermeister? Zitronenjette?«)
Oder hatte er eine seinerzeit verhunzte Phase der Pubertät wiederholt? Vorübergehende Regression in die frühkindliche Allmachtsperiode?
War vielleicht die alte, nie so recht eingestandene Sehnsucht nach einem Bruder aufgeflammt? Onno liebte seine drei Jahre ältere Schwester sehr, doch mit Raimund brüderlich zu konkurrieren, war sie nun mal schwerlich imstande.
War die anthropologische Mordlust in ihm aufgerührt worden? Wie einschlägige Fachleute war auch Onno überzeugt, daß selbst Gandhi-Reinkarnationen zum Totschlag fähig wären.
War es eine Art spontaner Schulterschluß gewesen, angeregt durch Stallgeruch? Hatten sie sich erkannt, ohne die gemeinsamen Feinde auch nur zu benennen? Waren das Wilhelmsburg der Fünfziger und das Aalkoog der Achtziger vergleichbar?
Wer liebt, ist erpreßbar – hatte Händchen für Onno den mächtigen Bewahrer des Gleichgewichts von Liebe und Würde verkörpert?
Oder war Onno demokratiemüde geworden? (Zwischendurch, nur mal so als Frage: Hatten ihm Meister Proper und der k. u. k. Kanzler eigentlich gar nicht leid getan?) War er einer Reminiszenz an die Bud-Spencer-Philosophie der Siebziger aufgesessen? War es freundlicher Neid auf ein anderes Leben gewesen? Hatte er auch nur mal den strammen Max mimen wollen? Hatte er einen Obelixkomplex? ( Wenn Onno als Kind in einen Zauberkessel gefallen war, dann war Sirup drin gewesen.) Hatte er klammheimliche faustische Freude genossen? Oder eher romantische Anwandlungen: der edle Wilde?
Vielleicht war jeder bloß von den angestammten Mitteln des jeweils anderen fasziniert gewesen? Verfügte der jeweils andere über das, was ihm in seinen kühnsten Träumen immer gefehlt zu haben schien – so kühnen Träumen, daß er sie bisher nie zu träumen gewagt hatte?
Prickelnd war es fraglos gewesen. Es war auf bisher ungekannte, auf beängstigend selbstverständliche Weise erregend gewesen, das Halbweltstrio aus Gangster und Tussi und geheimnisvollem Dritten zu komplettieren. Auf der anderen Seite zu stehen. Ein anregendes Spiel mit der Vorstellung, dorthin zu gehören . An Händchens Seite gab’s zusätzlichen Spielraum, einen Überschuß an Freiheit, Partizipation an atavistischer Macht – die er alle drei, bitte, nie jemals in Anspruch zu nehmen sich erleben möchte, das nicht. Nur die Chance war sexy, nicht ihre Nutzung. Tibor Tetropov also das sinistre, ordensbruderschaftliche Gegenstück zur Institution des Anstandswauwaus?
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(Raum für sonstige Interpretationen)
(Loben wir doch eine Handvoll Punkte für richtige Antworten auf den obigen Fragenkomplex aus: 0 – 15 Punkte: Onnobanause, 16 – 29 Punkte: Onnokenner, 30 – 40 Punkte: Onnoexperte.)
Wochen nach der Mallorca-Affäre, draußen auf dem Lande, sagte Onno: »Manchmal hab ich das Gefühl, er war mir nur deshalb sympathisch, weil er mit meinem Lieblingssport die Initialen teilt, ’ch, ’ch, ’ch …«
Vielleicht hatte all das eine Rolle gespielt, wer weiß das schon. Was aber ganz gewiß eine Rolle gespielt hatte, war, daß Onno seit langem mal wieder überhaupt eine Rolle gespielt hatte – jenseits der des Hartz-IV – Empfängers. (Zumal es Onno selbst vorgekommen war, als wäre er mal jemand anders. Als wäre er tatsächlich der Charakter in der Scharade, den er mit prosaischsten Mitteln Tibor und Fiona präsentierte. Die, da sie nicht nachfragten, willig daran mitbastelten. Und zwar an dem Rätsel, nicht an der Lösung. Denn bei alldem war es eben gerade das, was ihm selbst gefiel: das Rätselhafte. Es war noch alles offen.)
Auf der nächtlichen Rückfahrt das erste Grillenzirpen, das sie auf der Insel gehört hatten.
Knappes, aber herzliches Zwischen-Tschüs an der Stelle, wo Onno zugeladen worden war.
Schöner konnte ein offizieller Abschied nicht werden. Wie auch.
Onno hatte die beiden weitgehend im unklaren gelassen, wann genau sein Rückflug ging, und am Sonntagmorgen rief er Fiona an und sagte: »So, ich flieg nach Hause.«
Eeecht? Oooch! Wir hätten dich doch zum Airport gebraaacht! usw., und Onno: »Ich
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