Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
muß doch eh das Auto abgeben.«
Ein bißchen Geplänkel, »wir telefonieren, nech«, und das war’s: das letzte Mal, das er mit ihr je sprechen sollte.
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Das Internetvideo »Irrer Huene«
Clip 3/4
Länge: 03 min. 56 sec.
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Bewertung: *****
Bei diesem Clip ist das Bild wieder relativ klar. (Besitzer eines höherauflösenden Monitors erkennen, hauchschwach wie das Wasserzeichen in einem Briefbogen, eine statische, rosafarbene Schlierenschnecke. Dagmar hatte den Camcorder rund fünf Minuten lang ausgeschaltet – fünf Minuten, in denen der Hüne seinen mörderischen Furor ein wenig abkühlte; fünf Minuten, in denen Dagmar die Linse auf seine Anweisung hin mit Evian, Speichel und Papiertaschentuch vom Blut der weißen Schäferhündin säuberte – sowie, dito, die rechte Brusthälfte des Hünen.) Allerdings ist die Tonspur stummgeschaltet. Dagmar vermutete später, sie habe sie versehentlich deaktiviert. Doch konnte sie sich nicht erinnern, sie wieder aktiviert zu haben – wiewohl in Clip 4/4 ganz normaler Ton zu hören sein wird. Der Blinde hingegen gab an, deutlich vernommen zu haben, wie der Hüne ihr den Auftrag zu beiden Vorgängen – Ein- wie auch Ausschalten – explizit erteilte.
Wäre nicht unplausibel. Da er die nächsten Minuten ganz offensichtlich ausschließlich seine Dermatographie gefilmt haben wollte – und zwar diesmal en detail –, schwebte dem Hünen vielleicht vor, man möge als Filmmusik später beispielsweise Bimbo Beelzebubs Eingebor’ner Sohn drunterlegen. (So, wie es der Webmaster dann getan hat.) Wäre weißgott nicht unplausibel.
Die Tataukultur des Südseeraums umfaßt zumeist Ornamente und Verzierungen vor allem des Gesichts. In Europa und US – Amerika herrscht jeweils die Sammlung kleiner, stilistisch und inhaltlich inkonsistenter Motive vor. Die Meister des Irezumi und Tebori im alten Japan bevorzugten großflächige, oft Ganzkörpermotive mit legendenhaft erzählten Tableaus.
Auf der Hauthülle des Hünen hatte »###« sich sämtlicher Traditionen bedient (Hans Nogger später: »Postmoderne goes Hemppel«) – und dazu noch biomechanische, Comic-, Trompe-l’Œil-, westliche Trash- und sonstige Elemente eingeflochten, teils vignettenhaft, teils geradezu wimmelbildweise. (Ich habe mir Clip 3 mindestens dreidutzendfach angeschaut und jedes Mal neue Details entdeckt. Die folgende Beschreibung konzentriert sich jedoch auf die wesentlichen.) Außerdem wandte er über die Dermis-Punktierung hinaus Techniken des Piercings und Brandings und der sog. body modification an.
Vermutlich in enger Kooperation mit seinem Auftraggeber legte »###« die Vision eines humanoiden Wesens zugrunde, das kannibalistische, diabolische, echsenhafte, vogelähnliche u. a. Züge trägt. In diese Matrix setzte er Seelenfensterchen, die in harmonischem Reigen Einblicke auf Schlüsselfiguren, – szenarien und – symbole aus dessen Mutationsgeschichte gewähren. Manche davon wie in einem kitschigen Museum mit Nomenklaturschleifen versehen. So der Masterplan, wie er sich dem aufmerksamen Betrachter darstellt.
Ein wenig zittrig und wacklig – meist allerdings nur dann, wenn der Zoom betätigt werden mußte, wenn der Zielwinkel das Gewicht des Apparats oder ihres eigenen Körpers zu verlagern zwang, sowie etwa bei der Halbkreisfahrt vom Rücken zur Front – scannte Dagmar Teil für Teil die gesamte bemalte, lebende Skulptur; beschleunigend hier und da, da und dort verweilend. (Wobei ihr jeweiliger Beweggrund, so oder so zu handeln, recht willkürlich erscheint.) Die visuelle Rundreise beginnt bei den Fersen. (»Satanischen Fersen«, wie him666 kalauert, einer der 598 612 User von Clip 3.) Man verfolgt, wie einer kleinen Lache aus Blut (zweierlei Blut, doch dunkel das eine wie das andere) eine Echsenhaxe und ein Satanshuf entwachsen und in kräftige Waden und Schenkel übergehen, wobei Risse im werwölfischen Satansfell bahnweise rohes Muskelfleisch und blankes Gebein freilegen. (Durch den durchgehenden Schweißfilm wirken die Farben in der Haut nur um so intensiver.) Der linke Oberschenkelknochen verwandelt sich in eine Halswirbelsäule, auf welcher der feiste Schädel eines unverhohlenen Anton »Büffel« Buv steckt, gefangen in der linken Hinternkugel. Der Kiez-Oligarch züngelt anuswärts. (Auf seiner Stirn hat er zwei echte, dicke Pickel – offenbar weitere Mückenstichmale.) Neben der Hüfte die untätowierte Handfläche des Hünen, der den nach wie vor
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