Op Oloop
zu überwinden.«
»Küssen wir uns.«
»Ja. Küssen wir uns. Möge sich unser Kuß bis zur Auslöschung von Vergangenheit und Zukunft ausdehnen und das flüssige Band knüpfen, das diese Gegenwart unvergänglich macht.«
»…«
»…«
Wenn irgend jemand, mit Allgegenwärtigkeit ausgestattet, Franziska und Op Oloop in jenem Moment überrascht hätte, wäre er Zeuge geworden, wie sich ihre Gesichter dank einer verborgenen Strömung von Zärtlichkeit belebten. Ungeachtet der Umstände, in denen sie sich befanden – die eine auf ihrem Lager im Schlafgemach ausgestreckt, der andere ohnmächtig auf einer Bank im Botanischen Garten – drang dieselbe unerforschte Kraft gleichzeitig in ihr Gewebe und belebte es, färbte ihre Lippen und brachte die Wangen zum Strahlen.
Ebenso wie die Bluttransfusion kraftlosen Organismen durch die Injektion eines Quells an Energie und Hoffnung neues Leben verleiht, verjüngen sich die Seelen, wenn ihr Brachland von den tiefen Gewässern der Liebe überschwemmt wird.
Genau wie das Blut stellt die Liebe ein festes biologisches Merkmal dar. Jedes Wesen gehört zu einem vorbestimmten Typus der Liebe, der zunächst einmal für die Transfusion mit geistesverwandten Personen geeignet ist oder gemäß unabänderlichen psychologischen Postulaten mit nicht geistesverwandten Wesen. Die Übertragung der Liebe vollzieht sich mehr oder minder wie die des Blutes. Ebenso wie die menschliche Spezies bei der Bluttransfusion in vier Blutgruppen aufgeteilt wird, gruppiert die Liebe das Individuum in vier erotische Kategorien: nennen wir sie A, B, C, D. Der Liebende vom Typ A ist immer vom Typ A, bzw. der Typ C immer vom Typ C und der Typ D vom Typ D. Merkwürdig ist, daß das Problem der Liebesübertragung noch nicht untersucht worden ist. Es wäre sozial und eugenisch von Nutzen. Ist die Sympathie im Begriff, sich in Liebe zu kristallisieren, sollten die Verliebten sich an einen spezialisierten Psychiater wenden – den amoris consulto –, der die Treffsicherheit der Wahl anhand der Neigungen der jeweiligen Libido begutachten würde. Es gibt ungleiche Seelen, die sehr geschickt in dem Spiel sind, diese Ungleichheit zu verstecken. Es gibt Temperamente, die die Gefühle der anderen ausgleichen oder auflösen. Die perfekte Liebesverbindung ist das Ergebnis einer Studie, die in der Mehrzahl der Fälle von den Partnern vernachlässigt wird. Eine Blutinjektion wird nicht vorgenommen, wenn das Blut des Spenders und des Empfängers sich nicht auf wundersame Weise vermischen lassen. Warum also nicht die Injektionen des Geistes regeln? Die Gruppe A, gebildet aus ›universalen Empfängern‹, kann man anschaulich die egoistische Gruppe‹ nennen. Personen diesen Typs sind geeignet, die Liebe eines jeden zu empfangen; doch sie können sie nur an Personen ihrer Kategorie übertragen. Ein Paradebeispiel sind die Buhlerinnen, die nur Zuhälter und Mitglieder der Unterwelt lieben … In Opposition zu dieser Gruppe steht der Typ D, der den ›Altruisten‹ entspricht, den ›universalen Gebern‹, deren Liebe sich auf einen jeden überträgt; die sie aber nur von Personen ihrer Gruppe empfangen können. Jesus und Don Quichotte zum Beispiel, deren Herzenswärme die Menschheit erfüllte und die wegen der Geringheit von Maria aus Magdala und der Ungeschliffenheit des Hirtenmädchens Dulcinea selbst im Geiste noch zölibatär sind … Die Gruppen B und C, die Liebe von den Gruppen B, C und D empfangen können, bestehen aus den Standard-Liebenden, die von handfester Zweckmäßigkeit und gewöhnlicher Leidenschaft gebunden werden. Manchmal, wenn sie eine altruistische Liebe empfangen, werden sie auf der Leinwand des Lebens pompös verklärt. Es wäre der Fall von George Sand zu nennen, die Chopins geniale Ergüsse empfing …
Franziska und Op Oloop waren Zwillingsseelen vom Typ D. Beiden war Großzügigkeit gemein, aber eine zurücknehmbare Großzügigkeit. Franziska, eine Waise mütterlicherseits, beschränkte die Zuneigung auf das Maß der Notwendigkeit, als sie ihre Bedeutung zu schätzen lernte. Es gab keinen Grund, den von der Verblichenen ererbten Schatz an eine widerspenstige Umwelt zu vergeuden. Op Oloop, in den rauchenden Schmieden der Einsamkeit hart gemacht, hatte die allgemeinen Probleme ergründet, die Humanismus und Methode, Weisheit und Zahl mit sich bringen. Er war reich an Zärtlichkeit und wußte wohl zu vermeiden, sie herauszuposaunen. In der weiten Üppigkeit des Herzen gibt es immer einen
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