Operation Amazonas
weite Horizont vermittelt ein berauschendes Gefühl von Freiheit. Nate blickte sich hin und wieder in der Erwartung um, am Ufer einen drohend die Fäuste schüttelnden Indianer auszumachen. Die Ban-ali ließen sich jedoch nicht blicken. Die Kundschafter des Geheimnis umwitterten Stamms hielten sich versteckt. Vielleicht gelang es ihnen ja, sie abzuschütteln und sich einen kleinen Vorsprung zu verschaffen.
Jemand tippte Nate auf die Schulter. »Ich löse dich ab«, sagte Kouwe und klopfte den Pfeifenkopf ins Wasser aus.
»Es geht schon noch«, meinte Nate.
Kouwe nahm ihm das Paddel ab. »Ich bin noch kein Invalide.«
Nate gab nach und rutschte zum Heck. Von dort aus beobachtete er, wie das Ufer immer weiter zurückwich. Als er zur Feldflasche griff, fiel ihm rechts vom Floß eine Bewegung ins Auge. Einer der schwarzen, felsigen Buckel sank so langsam in die Tiefe, dass sich das Wasser nicht einmal kräuselte.
Was zum Teufel war das?
Auch zur Linken tauchte langsam eine Erhebung unter. Nate richtete sich auf. Er wollte gerade auf das seltsame Phänomen aufmerksam machen, als eine der Felseninseln ein großes Auge öffnete und seinen Blick erwiderte. Nate wusste sogleich Bescheid.
»Verdammter Mist!«
Jetzt sah er auch die dicken Schuppen und Furchen des Krokodilschädels. Es war ein Kaiman! Zwei Urwaldriesen. Jeder der beiden Köpfe maß bestimmt anderthalb Meter von Auge zu Auge. Und wenn schon der Kopf so groß war, dann …
»Was gibt’s?«, fragte Private Carrera.
Nate deutete auf einen der beiden Kaimane, die soeben untertauchten.
»Was ist das?«, fragte die Rangerin, ebenso verwirrt wie eben noch Nate.
»Kaimane«, antwortete Nate mit rauer Stimme. »Riesenkaimane!«
Mittlerweile hatten alle aufgehört zu paddeln. Die anderen Bootsbesatzungen blickten zu ihnen herüber.
Nate hob die Stimme und schwenkte hektisch die Arme. »Verteilen! Wir werden angegriffen!«
»Wovon?«, rief Captain Waxman aus etwa fünfzig Metern Entfernung. »Was haben Sie gesehen?«
Als Antwort glitt etwas Riesiges zwischen Nates Floß und das Nachbarfloß, stieß beide Flöße an und versetzte sie in eine leichte Drehbewegung. Im trüben Wasser waren die beiden Rückengrate zu sehen, als das Tier sich vorbeischlängelte.
Nate wusste über dieses Verhalten Bescheid. Die Könige der Kaimane, die großen schwarzen Alligatoren, waren keine Aasfresser. Sie töten ihre Nahrung lieber selbst. Deshalb war es klug, sich nicht zu bewegen, wenn man ihnen nahe kam. Bisweilen stießen sie potenzielle Beute erst einmal an, um zu sehen, ob sie sich auch bewegte.
Gerade hatte man sie angestoßen .
Das dritte, weiter entfernte Floß geriet plötzlich ins Schaukeln und drehte sich. Auch der andere Kaiman begutachtete die fremden Eindringlinge.
Nate warf seinen ursprünglichen Plan über den Haufen. »Nicht bewegen!«, brüllte er. »Nicht paddeln! Dadurch reizen Sie sie nur zum Angriff!«
Waxman verlieh seiner Anweisung weiteren Nachdruck. »Tut, was er gesagt hat! Waffen anlegen. Granaten scharf machen!«
Manny hockte sich neben Nate und sagte in respektvoll gedämpftem Ton: »Das Vieh muss mindestens dreißig Meter lang sein, dreimal so lang wie der größte bislang entdeckte Kaiman.«
Carrera befestigte gerade den Granatwerfer an ihrem M-16. »Kein Wunder, dass Gerald Clark den See umgangen hat.«
Okamoto hatte sein Gewehr vorbereitet. Er küsste das Kruzifix, das er um den Hals trug, und nickte Professor Kouwe zu. »Ich hoffe, Sie haben noch ein magisches Pulver im Ärmel.«
Der Schamane schüttelte den Kopf, ohne den Kaiman aus den Augen zu lassen. »Ich hoffe, Sie sind alle gute Schützen.«
Okamoto blickte Nate fragend an.
»Wegen des dicken Körperpanzers ist ein Schuss ins Auge die einzige sichere Methode, einen Kaiman zu töten.«
»Nein, es geht auch durch den oberen Gaumen«, setzte Manny hinzu und zeigte an sein Gaumendach. »Aber um die Stelle zu treffen, muss man dem Tier schon sehr nahe sein.«
»Steuerbordseite!«, schrie Carrera und ging mit angelegtem Gewehr in die Hocke.
Ein bedrohlich langer Schatten kräuselte das flache Wasser.
»Schießen Sie nur, wenn Sie sicher sind, dass Sie auch treffen«, zischte Nate und hockte sich neben sie. »Sonst reizen sie ihn bloß. Schießen Sie nur, wenn Sie einen tödlichen Schuss anbringen können.«
Da alle schwiegen, hatte auch Waxman Nates Warnung gehört. »Hören Sie auf Dr. Rand. Zielen Sie sorgfältig – jeder Schuss muss sitzen!«
Die Flöße starrten von Waffen, die aufs Wasser zielten.
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